Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
Armen neben ihr, es schien ihr ziemlich schlecht zu gehen. Roya lag zusammengeschnürt am Boden, neben ihrer Schwester Jasmin.
Schon seit einer Stunde hatte Jasmin sich nicht mehr bewegt. Blut war aus ihrem Mund geflossen und bereits eingetrocknet.
Roya schien zumindest nicht in schlechterer Verfassung zu sein als Leandra oder Hellami. Sie hatte über die fest angezogenen Fesseln geklagt, hatte vor Schmerzen geweint und war mehrfach besinnungslos geworden. Aber zum Glück war sie immer wieder erwacht. Leandra machte sich Sorgen um Jasmin. Wenn sie nicht bald von hier weg kamen, würde es verdammt schlecht für sie aussehen. Roya hatte immer wieder versucht, Jasmin anzusprechen, aber sie bewegte sich nicht. Sie lag gefesselt unter ihrem Mantel, ihr Gesicht war abgewandt und für keine der drei jungen Frauen richtig zu sehen. Nur den Blutfaden an ihrem Mundwinkel konnte man erkennen. Mit Sicherheit ging es ihr ziemlich schlecht. Sie mussten sich unbedingt befreien.
»Was ist?«, keuchte Hellami. »Glaubst du, dein Meister hat dich gehört?«
Leandra war am Ende ihrer Kräfte. »Ich weiß es einfach nicht«, stammelte sie verzweifelt. »Ich weiß es nicht.«
Sie blickte zum Himmel auf. Es musste schon Mittag sein. Wenn sie bis zum Abend niemand fand oder sie sich bis dahin nicht befreien konnten, waren sie mit Sicherheit tot. Die nächste Nacht würde keine von ihnen überstehen.
An die zehn Stunden war es her, dass man sie entdeckt und überwältigt hatte. Leandra hatte sich nach ihrem unterdrückten Aufschrei zwar aus dem Trivocum lösen können, ohne dass man sie bemerkt hatte, aber bald darauf waren die Pferde immer nervöser geworden, und schließlich waren sie durchgegangen. Zwei Dutzend eiskalter, finsterer Gestalten waren über sie hergefallen, hatten sie brutal gefesselt und den Karren mit den tobenden Pferden aus dem Wald hervorgezerrt. Was sie mit den Tieren gemacht hatten, wusste Leandra nicht.
Die Pferde hatten wie in Trance den Wagen zu ziehen begonnen und sich in die schreckliche Karawane eingereiht, dann waren sie mit ihnen für endlose Stunden nach Osten gestampft - in immer gleichem Tempo, ohne Unterlass, ohne Pause. Schon bei der ersten Andeutung der Morgendämmerung schlug sich der Zug seitlich in den Wald. Man hatte ein tiefes, finsteres Tal aufgesucht. Im Schutze einer steilen Felswand und eines dienten Waldes verbarg man sich vor dem Licht der Sonne und vor jeder lebenden Seele, die sich in der Umgebung aufhalten mochte.
Schon während der Fahrt hatte Leandra damit begonnen, verzweifelt durchs Trivocum nach Munuel zu rufen.
Gegen Morgen war ihr die Idee gekommen, mithilfe des Glücksbringers, den Munuel ihr geschenkt hatte, Kontakt mit ihm aufzunehmen, er sollte ja ein Geheimnis in sich bergen. Sie hatte sich so weit nach links herübergebeugt, dass sie die Muschel mit den Fingerspitzen der rechten Hand hatte berühren können, und es ein paar Mal versucht.
Aber dann waren ein paar dieser höllischen Wesen auf den Wagen geklettert und hatten ihr die kleine Muschel entrissen. Die Morgendämmerung hatte zu diesem Zeitpunkt schon begonnen, und im allerersten Licht des Tages sah sie dabei in eines der vermummten Gesichter. Das Herz war ihr für Momente stehen blieben. Es war das leibhaftige Gesicht eines Toten gewesen, verfault und verrottet mit schwarzen Augen wie aus Obsidian.
Dann war der Moment vorbei, und sie hing schwer atmend in ihren Fesseln. Die Muschel war fort. Sie hoffte nur, dass Munuel sie wenigstens einmal gehört hatte.
Leandra sah erschöpft zu den Baumkronen auf, durch die der wolkenverhangene Himmel so schwach herabstrahlte, dass man glauben mochte, es wäre noch ganz früh am Tag. Wenn sie nur wüsste, ob sie tatsächlich Munuels Antwort einmal gehört hatte, oder ob es nur Einbildung gewesen war.
Die Fesseln schnitten in ihre Handgelenke; sie hatte kaum mehr Kraft, sich aufrecht zu halten. Wenn sie sich herabsinken ließ, würden ihr die Fesseln so sehr in die Handgelenke schneiden, dass die Schmerzen unerträglich wurden. Sie war völlig verzweifelt.
Die grausigen dunklen Wesen hatten sich samt und sonders zurückgezogen. Leandra und die drei anderen Mädchen befanden sich allein inmitten einer Ansammlung von mehr als zwanzig Wagen, die ohne eine bestimmte Ordnung in dem dunklen Waldstück abgestellt worden waren. Selbst die seltsamen Pferde waren verschwunden. Nur ihre eigenen waren noch vor den Wagen gespannt. Sie standen herum, eines schien im Stehen zu schlafen,
Weitere Kostenlose Bücher