Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
Sie
fand ein Kinderzimmer; den hölzernen Spielzeugen nach zu urteilen mochte das Kind fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Auch
Hinweise auf ältere Leute gab es – hier hatte anscheinend eine
fünf- oder sechsköpfige Familie gelebt. Niemand von ihnen war
mehr da. Kurz darauf fand sie hinter dem Haus zwei frische Gräber. Anstelle von Grabsteinen waren nur zwei Steinhaufen mit
kleinen Steinmännern an den Kopfenden aufgetürmt, Inschriften
oder Ähnliches fand sie nicht. Benni schlich mit hängender Rute
um die Gräber herum und winselte leise. Irgendeine Tragödie
hatte sich hier abgespielt. Sie erforschte den gesamten Bauernhof, fand aber keine lebende Menschenseele. Außer den beiden
Pferden und den Hühnern gab es hier auch keine Tiere mehr, nur
an einer Stelle, ein Stück weit hinter den Ställen, fand sie verbrannte Tierkadaver. Der Haufen war groß und stank schrecklich
und sie hatte keine Lust, näher heran zu gehen. Es mochten ein
oder zwei Mulloohs sein, die dort verbrannt worden waren, und
vielleicht noch irgendwelche anderen Tiere. Eine Weile überlegte
sie, ob sie nicht lieber wieder verschwinden sollte. Dieser Bauernhof, einst bestimmt das Heim einer munteren, glücklichen Familie, hatte etwas Niederdrückendes, sogar Unheimliches an sich.
Andererseits gab es hier Dinge, die ihr nützen konnten. Zögernd
entschloss sie sich, über Nacht hier zu bleiben. Sie würde irgendwo in der Scheune schlafen und sich, bevor sie weiterzog, waschen, neu einkleiden und etwas essen. Wohin sie gehen sollte,
wusste sie noch nicht. Aber der Abend bot ihr vielleicht Zeit zum
Nachdenken.
Das schlechte Wetter verzog sich wieder, und nachdem es
schon gegen Mittag zu regnen aufgehört hatte, riss nun zusehends die Wolkendecke auf und gab den Blick auf das große,
westliche Sonnenfenster von Savalgor frei, das hier direkt über
dem Hof lag. Es war ein wenig wärmer geworden.
Alina ging ins Haus und suchte nach Kleidern. Im ersten Stock
wurde sie fündig. Die Kleider der Bäuerin waren nichts für sie,
aber hier hatte offenbar ein junger Mann gelebt, vielleicht der
Sohn des Bauern, der in etwa Alinas Körpermaße besaß. Er war
wohl etwas größer als sie gewesen und etwas kräftiger, aber die
Sachen würden dennoch ganz gut passen. Zuerst zögerte sie und
sah aus dem Fenster, ob nicht vielleicht gerade jetzt, da die Dunkelheit anbrach, die Familie von der Feldarbeit zurückkehrte. Aber
da kam niemand. Was sie hier tat, war eigentlich nicht weniger
als Diebstahl. Doch unter den derzeitigen Umständen hatte wohl
niemand einen Nachteil dadurch. Sie nahm sich vor, irgendwann
einmal, sofern es ihr möglich war, hierher zurückzukehren und
ihre Schuld zu begleichen.
Sie suchte sich einen Satz derbe Kleidung heraus – für die Zukunft konnte sie jeden Gedanken an ein Ballkleid ohnehin getrost
vergessen. Da war das, was sie fand, gerade recht. In der Küche
räumte sie die Essensreste fort und spülte das schmutzige Geschirr in einer großen Schüssel, die sie draußen am Brunnen gefüllt hatte. Danach ging sie hinaus, sprach den Pferden gut zu,
und als sie sich beruhigt hatten, stellte sie ihnen Wasser und Hafer hin. Schließlich suchte sie nach etwas Essbarem. In der Küche
fand sie ein paar Eier, hartes Brot und etwas Schinken. Dort aß
sie auch und warf dabei Benni etwas Speck vom Schinken zu, den
sie nicht mochte.
Dann kam der weniger angenehme Teil. Sie suchte sich zwei
Tücher zum Abtrocknen, fand ein Stück Knochenseife und einen
großen Bottich. Mitsamt den neuen Kleidern trat sie auf den Hof
hinaus. Erleichtert stellte sie fest, dass ein leichter, warmer Wind
aufgekommen war. Über ihr leuchtete das Orange der untergehenden Sonne durch das Sonnenfenster und irgendwie war eine
versöhnliche Stimmung eingekehrt. Benni stand neben ihr und
sah sie erwartungsvoll an.
Sie trat zu dem Brunnen, füllte den Bottich mit mehreren Kübeln Wasser und schälte sich aus ihren Kleidern. Bibbernd ließ
sich ins Wasser nieder. All ihre Schürfwunden und Prellungen begannen wieder zu schmerzen und sie verscheuchte den neugierigen Hund mit derben Worten. Die Knochenseife brannte wie
Feuer in ihren Wunden, aber als sie fertig war und aus dem Wasser stieg, hatte sie zum ersten Mal an diesem Tag das Gefühl,
wieder einigermaßen munter zu sein. Sie trocknete sich schnell
ab, hüllte sich in die Tücher und setzte sich neben dem Hackklotz
auf das kurze Gras. Seufzend lehnte sie sich an. Endlich war alles
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