Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
neigte sich dem Ende zu. Als
Magier hatte er es verstanden, seine Gesundheit in guter Form zu
halten, und wäre jetzt noch einmal eine große Aufgabe auf ihn
zugekommen, hätte er sich zweifellos aufgemacht, um etwas zu
bewegen. Im Moment aber bestanden seine Zukunftsaussichten
nur noch aus der Abfolge einiger trister Jahre, gezeichnet vom
Untergang seines Lebenswerks als Ratsmitglied des Cambrischen
Ordens, der zerschlagen war, und als Vorsitzender des Hierokratischen Rates, welcher diesem Schicksal bald folgen würde. Selbst
sein lächerliches Amt als neuer Hoher Meister der Bruderschaft
blickte einem unrühmlichen Ende entgegen, denn sie würde in
Kürze zweifellos zerschlagen sein. Sein ganzes bescheidenes Leben lang hatte er sich nach ein wenig Ruhm und Anerkennung für
seine Verdienste gesehnt, aber nie etwas davon erhalten. Doch
nun, da sein Ende in absehbarer Zeit bevorstand, begann sich
sein Ich dagegen zu sträuben, den Dummen das Feld des Ruhmes
zu überlassen. Nein, den Ruhm würde er sich nun holen, selbst
wenn er sich damit gegen den Rest der Welt stellen musste! Den
Gedanken, sang- und klanglos abzutreten, ohne dass man noch
ein einziges Mal über ihn oder sein Lebenswerk sprach, empfand
er als unerträglich. Dann würde er lieber schon eine Berühmtheit
als Teufel und Vernichter erlangen, mit der eigenen Gewissheit
darüber, dass er wenigstens zu dem gestanden hatte, was er
dachte und fühlte.
Er war einer der fähigsten Magier der heutigen Zeit, und es gab
überhaupt keinen Zweifel daran, dass es ihm gelingen würde,
diese Leandra zu vernichten, wenn er sich der Sache persönlich
annahm. Sie ahnte nichts von seinen Absichten, und er würde
wohl kaum auf Schwierigkeiten stoßen, wenn er sich ihr näherte.
War ihm das gelungen, so wäre es für ihn kaum mehr als ein Fingerschnippen, sie in die Hölle zu befördern. Man flüsterte sich
Wunderdinge über sie zu, aber sie zählte kaum mehr als zwanzig
Jahre, und es war völlig unmöglich, dass sie gegen ihn ankam.
Vor allem dann nicht, wenn sie nicht damit rechnete. Ja, das würde seine letzte Tat werden. Alles, was danach kam, war ihm egal.
Wütend erhob er sich von dem unbequemen Stuhl, auf dem er
seit Stunden wie betäubt gesessen hatte, nunmehr von einem
neuen Entschluss beseelt. Ja, er würde es tun! Ihm war durchaus
bewusst, wie oft Leandra schon Situationen überlebt hatte, in
denen andere sie hatten töten wollen. Aber niemand hatte sein
ganzes Leben lang Glück.
Ötzli trat kurz zum Fenster und sah hinaus. Es war später
Nachmittag und irgendwo dort draußen waren sie schon wieder
am Werk. Sie bereiteten die Hochzeitszeremonie vor, bauten den
Cambrischen Orden wieder auf und versuchten den Kryptus zu
entschlüsseln. Diese Narren! In wenigen Tagen würden die Drakken kommen, das stand völlig außer Frage, und anstatt sich mit
ihnen zu arrangieren, erhoben sie sich zum Widerstand! Und er
sollte dabei zusehen? Nein, ein solcher Abgang kam für ihn nicht
in Frage. Morgen zur Mittagsstunde würde diese lächerliche Hochzeit stattfinden und genau dann würde er zuschlagen! Als Ratsvorsitzender würde er einen Ehrenplatz nahe beim Brautpaar einnehmen und damit auch nahe bei Leandra, denn sie würde ganz
sicher anwesend sein. Niemand ahnte, mit welcher Absicht er sich
trug. Und was niemand ahnte, konnte auch niemand verhindern!
Er wusste eine Magie… ach was, er wusste eine ganze Reihe von
Magien, mit denen er sie wie mit einem Blitz fällen konnte. Und
dann hätte er, wenn man es so betrachtete, sogar noch die Gelegenheit, gänzlich reinen Tisch zu machen! Alina und dieser Victor
stünden schließlich ebenso wehrlos vor ihm. Der Primas wäre
auch anwesend, und vielleicht würde er es sein, der Ötzlis Taten
schließlich ein Ende setzte… Er lachte bitter auf. Vielleicht war das
gar kein so schlechter Abgang.
Ötzli nickte verbissen. Ja, genau das würde er tun. Er würde
keine Seele auf dieser Welt von seiner Absicht in Kenntnis setzen
und vollkommen überraschend handeln. Und er würde ein Zeichen setzen, indem er dieses Weib Leandra vom Antlitz der Welt
tilgte! Ob er Alina tötete, konnte er sich bis morgen noch überlegen, schließlich war sie Mutter und er war kein Unmensch. Aber
für Leandra würde es endgültig vorbei sein! Endgültig!
*
»Er behauptet, er hieße Munuel, Hauptmann«, flüsterte der Soldat seinem Vorgesetzen zu. Er stand in strammer Haltung gleich
neben dem Gitter, hinter dem die drei
Weitere Kostenlose Bücher