Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes
sie seufzend, »es sieht so aus, als würde ich spinnen. Aber glaub mir, ich…«
»Ich… ich hab doch gar nichts gesagt«, meinte Marius und hob eine Hand. »Außerdem glaube ich dir.«
Ohne Zweifel hatte sie seit einer Minute einen neuen Verehrer.
Seine Schüchternheit rührte sie irgendwie. Ob er seine Worte allerdings ehrlich meinte oder ihr nur schmeicheln wollte, war dahingestellt. Aber wenigstens musste sie sich in diesem Moment nicht gegen ruppige, zweifelnde Männersprüche verteidigen. Das war erleichternd, denn sie hatte andere Dinge im Sinn.
»Du… du glaubst mir?«
Er nickte. »Ja. Deine Geschichte klingt nicht eben alltäglich, aber ich finde, du wirkst keinesfalls wie jemand, der…«, er machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung neben der Schläfe, »… nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Im Gegenteil.« Er räusperte sich. »Du hast schon ein paarmal bewiesen, wie klug du bist.« Ein warmer Schauer rann ihr über den Rücken.
Dass man sie wirklich ernst nahm, hatte sie bisher allenfalls bei Azrani oder im Kreis ihrer engsten Freunde erlebt. Dass ihr hingegen ein Mann eine solche Geschichte abnahm, war mehr, als sie sich in dieser nächtlichen Stunde erhofft hätte. Marius wandte sich ihrem Bild zu. »Und du kannst sehr gut zeichnen. Ich wette, du hast bald herausgefunden, welches Geheimnis dahintersteckt.« Beinahe wäre ihr ein wohliges Seufzen entglitten. Langsam wurde ihr klar, dass sie sich selbst nur wenig zutraute. Mehr als ein hübscher Anblick für all die Männer hier zu sein hatte sie gar nicht erwartet. Irgendeiner dieser Ordensleute wäre schließlich auf das Geheimnis des Phenros gekommen, während sie und Azrani so etwas wie schmückendes Beiwerk wären, verehrt und bewundert von diesem Männervolk – für ihr Aussehen, aber nicht für ihre Intelligenz… Doch in Wahrheit waren sie beide es, die hier den Ton angaben. Sie tadelte sich, ihr Licht so sehr unter den Scheffel gestellt zu haben. Ausgerechnet dieser Marius lehrte sie nun, dass sie jemand war. Sie lächelte ihn freundlich an. Er war ein netter Junge; sie wünschte sich, er wäre ein wenig mehr ein Mannsbild, denn dann hätte sie vielleicht Lust auf ihn verspürt.
Energisch verscheuchte sie derlei Gedanken aus ihrem Kopf. Im Augenblick waren ganz andere Dinge wichtig.
»Mir ist etwas eingefallen«, verriet sie ihm und ließ sich auf die Knie nieder. »Vorhin, als ich im Bett lag und nicht einschlafen konnte, weißt du?« Sie deutete auf die zwölf Bilder, die sie abgemalt hatte. »Es könnte nämlich sein, dass diese Landschaften einfach nur in der falschen Reihenfolge aneinander gesetzt wurden und deswegen keinen Sinn ergeben.«
»Wie meinst du das?«
»Wir halten dies hier für eine Landkarte«, erklärte sie. »Weil es als Gemälde überhaupt keinen Sinn ergibt. Es hat kein Motiv. Es sind nur zwölf Landsch…« Sie unterbrach sich. »Was ist?«, fragte er leise.
»Zwölf«, sagte sie nachdenklich. »Ausgerechnet zwölf.«
»Du hast auch zwölf Blätter bemalt«, erwiderte er. »Ein… Zufall?«
Sie schüttelte langsam den Kopf und studierte dabei ihr Werk.
»Nein. Es hatte genau die Größe von zwölf einzelnen Papierbögen. Ich habe…« Wieder unterbrach sie sich. »Ach du meine Güte!« Sie blickte ihn betroffen an.
Er musterte sie mit fragend hochgezogenen Augenbrauen.
»Weißt du, welche zwölf Bögen ich da verwendet habe?« Sie deutete auf die am Boden liegenden Blätter. »Sie stammen aus Phenros’ Bildermappe! Da waren zwölf leere Papierbögen drin. Ich habe gar nicht weiter darüber nachgedacht und sie einfach genommen.«
Marius verzog das Gesicht. »Glaubst du etwa, Phenros habe geahnt, dass einmal jemand sein Gemälde auf zwölf Papierbögen kopieren würde?« Er schüttelte den Kopf. »Das ist weit hergeholt, findest du nicht?«
Marina hatte die Stirn in Falten gelegt; es war ihr anzusehen, dass sie mit aller Schärfe nachdachte. »Nicht, wenn dieses Kopieren eine zwingend notwendige Aufgabe ist. Ich meine, um hinter das Geheimnis zu kommen.«
»Zwingend notwendig?«
Marina ließ sich nicht von ihrer Idee abbringen. Sie erhob sich und wühlte in den Papieren und Schriftrollen, die überall herumlagen. Schließlich fand sie, was sie suchte. Aufgeregt studierte sie eines der Papiere, eilte dann zur Wand, wo die große lederne Mappe lehnte, und beförderte sie auf den Tisch. Dort breitete sie mehrere Zeichnungen aus. Neugierig trat Marius zu ihr. »Nicht zu glauben!«, keuchte
Weitere Kostenlose Bücher