Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes
Altmeister warf ihm ein herausforderndes Lächeln zu. »Ich suche nach Eurem Motiv, Rasnor!
Dem Motiv, den Drakkenanführer zu spielen, Eure Bruderschaftskutte nicht einfach fortzuwerfen, Euch unerkannt in irgendeinem Dörfchen im Hinterland zu verkriechen und Gras über die Sache wachsen zu lassen. Warum seid Ihr hier?«
Nun verstand Rasnor. Er starrte Ötzli eine Weile forschend an.
»Ich nehme an«, sagte er bedächtig, »ich habe das gleiche Motiv wie Ihr.« Er studierte das Gesicht des Altmeisters. »Etwa nicht?«
Ötzli warf ihm ein breites Lächeln zu. Rasnor nickte nur.
Das Wort Rache ließ Ötzli unausgesprochen, ebenso, wie Rasnor es nicht in den Mund nahm. Das war auch gar nicht nötig. Rache war kein Wort, das man gern oder voller Stolz aussprach; nichtsdestotrotz war sie eine mächtige Triebfeder.
Rasnor hatte schon vor dem Drachenkrieg reichlich Gründe gehabt, sich an zahlreichen Personen zu rächen, besonders natürlich an Leandra. Aber nach dem, was vor vier Monaten draußen im All geschehen war, verzehrte ihn seine innere Wut geradezu. Er hatte sich von diesem hinterlistigen Weibsstück so weit austricksen lassen, dass er zum Kurier für ihre Wahnsinnstat geworden war – er selbst hatte es erst möglich gemacht, dass diese vier Weiber ihre tödliche Fracht auf das Mutterschiff der Drakken hatten bringen können! Ja, Ötzli hatte Recht – der Grund seines Hierseins war kein anderer als Rache. Was er von Usmar aus in Gang zu setzen versuchte, hatte Zerstörung zum Zweck, das war ihm bewusst. Das Verlangen nach Vergeltung, das in seiner Brust brannte, war zu stark für Einwände der Vernunft. Und er wollte sogar noch mehr.
Längst war es nicht mehr nur schlichte Rache – so wie das, womit er früher noch zufrieden gewesen wäre: Leandra gefangen zu nehmen, sie ein wenig seine Macht spüren zu lassen und ab und an gönnerhaft großzügig zu ihr zu sein. Nein, das genügte ihm nun nicht mehr. Er wollte ihr die ganze Höhlenwelt entreißen, ihre Höhlenwelt, die sie gerettet hatte, und er wollte sie mit eigenen Händen in tausend kleine Stücke zerreißen! Und jetzt wusste Rasnor auch, warum er diesen Gedanken im Geiste noch nie selbst ausgesprochen hatte, warum er es nicht mal gewagt hatte, ihn zu formulieren: Es fehlte ihm an Macht, dieses Werk zu vollbringen. Er verfügte über seine kleine Drakkenarmee, eine Hand voll Bruderschaftler und ein paar flugtaugliche Schiffe – das aber war auch alles. Oft genug hatte er dieser Tage vor seinen Feinden die Flucht ergreifen müssen. Was seinen eigentlichen Plan anging, so würde er nach dem Verlust des Kurierschiffes in Thoo erst wieder lernen müssen, erneut an ihn zu glauben.
Nun mussten sie ein weiteres dieser Schiffe finden - und sie wussten immer noch nicht, ob es ein zweites dieser Art in der Höhlenwelt überhaupt gab.
Rasnor starrte Ötzli mit forschendem Blick an. Der Altmeister musste irgendetwas in der Hinterhand haben, sonst wäre er nicht hierher gekommen. Nicht ein Mann vom Format eines Ötzli.
»Was habt Ihr zu bieten, Ötzli?«, fragte Rasnor hungrig.
Ötzlis Lächeln war raubtierhaft. »Ja, Ihr habt Recht, verehrter Rasnor. Ich habe tatsächlich etwas. Ein Ei.«
Rasnor zog die Stirn kraus. »Ein Ei?«
»Ja, richtig. Ein Ei aus Metall, etwa so groß.« Er formte mit beiden Händen ein Objekt von der Größe eines Kohlkopfes. »Es schimmert silbern und wird ständig von feinen, bläulichen Funken umlaufen, entlang eines Gespinstes aus feinen Linien. Das Ganze steht auf einem kleinen Dreibein, etwa so hoch.« Er hielt die Hand eine Elle über dem Boden.
»Das klingt nach etwas Magischem«, meinte Rasnor.
Ötzli schüttelte den Kopf. »Nein, es ist ein Artefakt der Drakken.
Man kann damit direkt zur MAF-1 gelangen.«
»Zur MAF-…?« Rasnor erschauerte. Was diese Buchstaben-Zahlen-Abkürzung bedeutete, wusste er, schließlich hatte er selbst ein paar Dutzend Schiffe. Seine allerdings hatten weniger Buchstaben und höhere Zahlen. Instinktiv wusste er, dass es sich um etwas Großes handeln musste.
»MAF-1? Ist das etwa… das große Schiff dort draußen?« Er deutete in die Höhe. »Das Mutterschiff der Drakken?«
Ötzli nickte nur.
Rasnors Denkapparat tickerte. Als uCuluu hätte er diesen Namen eher wissen müssen als Ötzli. Er kannte ihn aber nicht. Was mochte das bedeuten?
»Ich sehe Fragen auf Eurem Gesicht, Rasnor«, sagte Ötzli freundlich. »Aber bevor Ihr Euch in Spekulationen versteigt, lasst es mich
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