Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes
Azrani durchbohrt, Marina war fast verblutet. Sicher hatte keine von ihnen ein angenehmes Schicksal durchleiden müssen, aber ihre Freundinnen schienen es bewältigt zu haben. Nur sie selbst nicht. Jacko hatte ihr eine Zeit lang geholfen; er war sehr zärtlich gewesen und hatte ihr Kraft gegeben.
Damals hatte sie wirklich für Wochen diese Last auf ihrer Seele vergessen können. Dann aber war wieder so etwas wie Alltag eingekehrt, und mit ihm der Schmerz. Hellami hatte sich in sich selbst verkrochen und anfangs gar nicht bemerkt, wie sehr sie sich von den anderen dadurch zurückzog – auch von Jacko. Als ihr das klar geworden war, hatte sich bereits eine Tür hinter ihr zugemacht; eine Tür, die sich nicht mehr öffnen ließ. Ihr fehlte der Schüssel dazu.
Allerdings gab es da noch eine Sache. Es war dieses Schwert – diese mystische Waffe, derentwegen es damals zum Bruch zwischen ihr und Leandra gekommen war. Leandra hatte es in dem vielleicht sogar gerechten Verlangen, Hellamis vermeintlichen Tod zu rächen, mit ihrer sterbenden Seele in Berührung gebracht, und auf diese Weise das Schwert mit einer rätselhaften Kraft aufgeladen. Dieses Schwert hatte Hellami nach ihrer Heilung durch Ulfa sogar noch zweimal das Leben gerettet, bis es irgendwo in den Katakomben unterhalb von Savalgor verloren gegangen war. Ohne dieses Schwert – das bis heute keinen Namen trug – gäbe es sie vermutlich alle nicht mehr. Es hatte den Sieg über Chast möglich gemacht und Alina damit das Leben gerettet. Doch wo befand es sich heute?
Sie hatte Leandra damals verstoßen, und bis heute war ihre freundschaftliche Beziehung nicht wirklich wieder in Ordnung gebracht worden. Hellami hatte sich ihrer Seele beraubt gefühlt – womöglich sogar zu Recht, denn ein Teil davon mochte noch heute in dieser Waffe stecken, wo immer sie sich auch befand. Aber seit Hellami wusste, welche Rolle Ulfa in ihrem Leben oder ihrem Tod spielte, war sie sich nicht mehr sicher. Ulfa musste damals dabei gewesen sein, als Leandra das Schwert mit der Kraft von Hellamis sterbender Seele aufgeladen hatte. Die Frage, die sie sich in letzter Zeit immer wieder stellte, lautete: Konnte diese Tat so falsch gewesen sein, wenn ein gerechtes, gutes Wesen wie Ulfa ihr beigewohnt hatte? Ulfa hätte Leandra gewiss daran gehindert, wäre es ein Fehler gewesen.
Hellami seufzte leise. Sie hatte ihre nackten Füße in den Sand gewühlt – wie lange sie hier saß, konnte sie nicht einmal sagen.
War es schon eine Stunde? Oder gar mehr?
Gedankenverloren blickte sie zur Decke der kleinen Halle, wo der gelb-orange Schein der langsam ausbrennenden Fackeln ein geheimnisvoll flackerndes Licht tanzen ließ. Nun musste sie ohnehin bald gehen, denn hier würde es dunkel werden.
Sie erhob sich und begann mit den Füßen den aufgewühlten Sand zu glätten. Einen Rechen sollte man hierher bringen, dachte sie, denn dieser Ort musste auch ein wenig gepflegt werden.
Neue Fackeln, vielleicht einen kleinen Tisch, wo man für lange Sitzungen Trinkwasser und etwas Brot hinstellen konnte…
Ja, dieser Ort war etwas Besonderes. Das Drachennest.
Sie war schon einige Male in der großen Drachenkolonie gewesen, weit oben am Malangoorer Stützpfeiler, wo sich Nerolaan und seine immer größer werdende Sippe einquartiert hatten. Dort gab es zwei Drachenbabys; die kleinen Kreaturen waren unsagbar süß. Hellami musste bei dem Gedanken lächeln, dass der Name dieses Ortes hier ebenfalls auf so etwas anspielte: ein Nest, in dem niedliche kleine Wesen umhertapsten. Waren sie das? Sechs junge Frauen mit rätselhaften Tätowierungen und mächtigen Drachenfreunden, die das Schicksal dieser Welt verändert hatten? Es war erstaunlich, was ihnen alles gelungen war. Sie hatten das Werk von mächtigen, schwer bewaffneten Kriegern getan und sogar noch mehr. Ein Grund, stolz zu sein – und froh, eine so wichtige Aufgabe zu haben.
Wenn sie sich nur nicht so elend bei all dem gefühlt hätte!
Vielleicht sollte ich Jacko allein nach Rasnor jagen lassen und mich selbst auf die Suche nach dem Schwert machen, dachte sie.
Vielleicht ist das meine Bestimmung – das, was Ulfa von mir wollte.
Sie nickte sich selbst zu, während sie weiterhin den Sand mit den Füßen glättete. Der Gedanke an diese Suche schenkte ihr ein gewisses Gefühl der Ruhe. Ja, sie sollte das Schwert suchen, und wenn sie es gefunden hätte, würde sie sich vielleicht wieder etwas vollständiger fühlen. Und danach, nahm sie sich vor,
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