Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Evers
Vom Netzwerk:
Wahrheit nur eine Art Effekthascherei war, die sich vor ihren Augen abspielte. Das Göttliche, das sie
zuvor zu spüren geglaubt hatte, war verflogen. Wäre es wirklich
von dieser Art gewesen, hätte es durch Schlichtheit mehr Glanz
erlangt als durch dieses Spektakel. Das jedenfalls war es, was sie
empfand.
Anders war es bei den kleinen Wesen im Tal.
Während die Sechsbeiner reglos dastanden, ja sogar ihre ständig wiegenden Bewegungen aufgegeben hatten, rührte sich kein
einziger der kleinen Arbeiter mehr auch nur um eine Handbreit.
Sie alle hatten sich in Richtung des Wolkenschiffes niedergeworfen, und ihre Körper ergaben von oben aus gesehen ein ulkiges,
strahlenförmiges Muster aus kleinen, länglichen Flecken um das
Wolkenschiff herum. Ruhig schwebte es am westlichen Rand des
Tales in etwa anderthalb Meilen Höhe. Azrani konnte keinen rechten Geschmack mehr an der märchenhaft wirkenden Szene finden
– so überirdisch und eindrucksvoll sie auch anmuten mochte.
Dann begann das, was sie letztlich in irgendeiner Form erwartet
hatte. Die Sechsbeiner und das Wolkenschiff gehörten zusammen
und wurden eins. Die Lichtkugeln, die noch immer ein sehenswertes Farbspektakel erzeugten, bewegten sich in weiten Schleifen
ins Tal hinab. Azrani ahnte, dass es zwölf Lichtkugeln sein mussten, ebenso viele, wie es Gruppen von Sechsbeinern im Tal gab.
Sie behielt Recht. Die Kugeln schwebten herab, bis sie sich über
den zwölf Gruppen platziert hatten. Das Schauspiel endete, und
sie erstrahlten in hellem, weißlichem Licht. Plötzlich stachen
Lichtspeere aus ihnen hervor, hüllten die Sechsbeiner unter ihnen
ein und verwandelten sie in Abbilder ihrer selbst aus gleißendem
Licht. Es waren nur die zwölf großen Sechsbeiner betroffen, nicht
ihre kleineren Begleiter.
Dann lösten sich die zwölf Kreaturen auf; es sah so aus, als
würden sie in die Lichtkugeln aufgesaugt. Eine gespenstische Stille breitete sich über das Tal. Selbst der dumpfe Singsang aus der
Höhe war verstummt. Noch immer rührte sich keines der verbliebenen Wesen, und die Zeit schien stillzustehen.
Dann erklang eine neue, fremdartige Musik. Sie war wie das
Klingeln gläserner Glöckchen und das Sirren von Federn im Wind;
ein feines, aber zugleich auch warnendes Klanggebilde strömte
ins Tal. Langsam und erhaben stiegen die weißen Lichtkugeln
senkrecht nach oben und verharrten gemeinsam auf einer bestimmten Höhe.
Wie eine Woge flutete eine neue Empfindung über Azrani hinweg und versetzte sie erneut in Unruhe. Die kleinen Wesen dort
unten im Tal schienen das Gleiche zu verspüren; Azrani sah, dass
sie sich bewegten, und vernahm ein vielstimmiges Aufstöhnen
wie zuvor. Die weißen, Funken sprühenden Lichtbälle verfärbten
sich rot.
Rot schien überall im Kosmos die Farbe der Warnung zu sein –
vielleicht weil Blut überall im Kosmos rot war? Azrani wusste es
nicht zu sagen. Unwillkürlich duckte sie sich. Kaum war sie unten,
hörte sie ein neues Geräusch. Die gleißenden Lichtkugeln leuchteten nun in giftigem Rot und knisterten und zischten. Mit einem
Mal schossen rote Lichtspeere in die Tiefe, und Azranis unwillkürliche Vermutung bestätigte sich – ihre Absicht war es zu töten.
Das Spektakel währte nur kurz, aber was da geschah, war unmissverständlich. Sicher war es kein Angriff – nein, es handelte
sich wohl um so etwas wie eine Strafmaßnahme. Während die
zwölf Höchsten oder Ältesten der Sechsbeiner zu dem Wolkenschiff aufgefahren waren, wurden nun offenbar die zwölf Niedrigsten des Arbeitervolkes exemplarisch bestraft. Mit hässlichen Geräuschen taten die grellroten Lichtspeere ihr Werk und verbrannten einzelne der kleinen Kreaturen. Zum Glück geschah es weit
genug von Azrani entfernt, sodass sie die grauenvolle Tat nicht
wirklich mitbekam.
Zögernd erhob sie sich und sah sich instinktiv um, ob vielleicht
über ihr ebenfalls eine der roten Lichtkugeln schwebte. Aber da
war nichts. Unten im Tal legte sich die Aufregung. Die zwölf Kugeln waren inzwischen wieder weiß geworden, strebten in Spiralen auf das Wolkenschiff zu und verschwanden durch die Öffnungen in seinem Rumpf. Die Öffnungen schlossen sich wieder, und
damit war das Schauspiel vorbei. Unwillkürlich atmete Azrani auf.
Bald nahm das Wolkenschiff wieder Fahrt auf, jedoch nicht vorwärts, sondern es bewegte sich rückwärts in die Wolkenmassen
zurück, die sich bald hinter ihm schlossen. Das Leuchten verebbte, die Wolken zogen sich zurück, der Wind

Weitere Kostenlose Bücher