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Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Evers
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einem dunkelbraunen, erdigen Boden gewichen, der mit zahllosen knollenartigen Pflanzen bewachsen war. Sie kletterte auf die Mauer und trat
näher zum Rand, um besser in die Tiefe blicken zu können. Die
breiten Spalten, in denen die Glasflächen versunken waren, hatten sich auf geheimnisvolle Weise verschlossen.
Die Pflanzen wirkten von hier oben wie Pilze, mit dunkelroten,
teils hellbraun gesprenkelten Hauben. Der Anblick war seltsam,
denn Azrani glaubte, noch immer eine Ahnung von dem zuvor
dort wachsenden Gras wahrzunehmen, so als stünde es nach wie
vor dort und wäre nur von einer Art Luftspiegelung der Pilze auf
brauner Erde überlagert. Ein ungewöhnliches Flirren durchströmte
die Luft, selbst in der Höhe, als sie hinauf zu den Bergen blickte.
Während außer dem stetigen Heulen des Windes alle anderen
Geräusche verstummt waren, drang nun etwas aus dem Tal an
ihre Ohren. Es war wie ein weit entferntes Gemurmel aus tausend
Kehlen… nein, eher aus zehntausend… So etwas konnte man in
Savalgor vernehmen, wenn die Sprecher des Hierokratischen Rates oder des Shabibs vom Palastbalkon aus etwas zu verkündigen
hatten und alles, was in der Stadt Beine hatte, auf dem großen
Palastvorplatz zusammenströmte. Verwirrt sah sich Azrani um,
dann fiel ihr der Talzugang im Süden ein. Sie sprang von der
Mauer, eilte quer über die Plattform und erklomm sie auf der gegenüberliegenden Seite erneut. Tatsächlich. Da waren sie.
Durch die Enge zwischen den großen Felswänden strömten unzählige kleine Wesen ins Tal herein. Es waren Abertausende, und
Azrani fiel es nicht schwer zu erraten, dass es die gleiche Art von
Wesen war, deren Knochen sie in der seltsamen Stadt gefunden
hatte. Aber diese hier waren lebendig.
Sie hatte keinesfalls erwartet, auf dieser Welt noch lebende
Kreaturen anzutreffen. Schnell sprang sie von der Mauer und ging
hinter ihr in Deckung. War sie hier oben sicher? Ein Blick in die
Mitte der Plattform sagte ihr, dass die Scheibe mit dem Ornament
noch immer hier oben war. Und den Würfel besaß sie auch. Ohne
ihn würde niemand hier heraufkommen können – vorausgesetzt,
keines dieser Wesen dort unten hatte einen. Und dann war da ja
noch ihre Körperhülle, die sie bisher vor allem Unheil beschützt
hatte…
Sie mahnte sich, ruhig zu bleiben. Vorsichtig hob sie den Kopf
über die Mauerbrüstung und blickte in die Ferne zum Ausgang des
Tals. Etwas stimmte mit diesen Wesen dort unten nicht. Sie erschienen irgendwie… unwirklich. Das ganze Tal war von diesem
seltsamen Flirren in der Luft erfüllt, kaum wahrnehmbar, aber
dennoch vorhanden. Sie erhob sich und sagte sich, dass sie in
dieser gewaltigen Höhe über dem Tal von unten gesehen kaum
mehr als ein winziger Punkt sein konnte. Inzwischen waren Tausende der kleinen Wesen ins Tal geströmt. Azrani kam es so vor,
als verteilten sie sich nach allen Seiten. Nun sah sie auch, dass es
zwischen den endlosen Kolonien der braunroten Pilze Wege gab.
Die kleinen Wesen brachten Karren mit sich, die sie dort entlang
schoben, und es sah beinahe so aus, als wären sie gekommen,
um hier eine Arbeit zu verrichten. Womöglich eine Ernte der Pilze
oder Ähnliches. Dann aber erschauerte Azrani. Am Ende des Tales
waren andere Kreaturen aufgetaucht. Sie waren viel größer als
die winzigen, wimmelnden Wesen, zwischen denen sie sich bewegten, und sie waren auch langsamer. Azrani erkannte sie sofort. Sie glichen den großen, steinernen Statuen, die sie links und
rechts der Straßen im Land der Pyramide gesehen hatte. Tief atmete sie ein und wieder aus. Langsam fügte sich alles zu einem
Bild zusammen. Die Großen waren wahrscheinlich so etwas wie
Anführer – ob sie allerdings einer anderen Rasse entstammten als
die Kleinen oder nur die Erwachsenen waren, konnte sie nicht
sagen.
Noch immer strömten Hunderte und Tausende der kleinen Wesen ins Tal und verteilten sich überall, während die Großen mit
gravitätischen Schritten ihrer sechs langen Beine das Tal gleichmäßig in Besitz nahmen. Wie schon bei den Statuen an den Straßen wurden die Größten unter ihnen stets von Kleineren begleitet
– in Dreier-, Sechser- oder Neunergruppen. Auch schien es so,
als würden diese Gruppen von den kleineren Wesen umschwärmt;
als huldigte man ihnen, während man sich zugleich mühte, die
anstehende Arbeit zu verrichten.
Lange beobachtete Azrani, was unter ihr geschah. Ja, es musste
eine Art Ernte sein, und gleichermaßen eine Hege und Pflege der

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