Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
kleine Atempause verschaffen. Eben wollte er
sich zu Roya umdrehen, als ihm ein einzelnes der Dunkelwesen
ins Auge fiel. Es tappte unten durch die Halle und hielt genau auf
die kleine Felsplatte zu, wo inmitten des Runenkreises der Wächterstein lag.
»Nein!«, schrie er. Verzweifelt überlegte er, ob er mit seinen
schwindenden Kräften schnell genug dort hinabspringen und das
Wesen daran hindern konnte, den Wächterstein aus dem Runenkreis zu schieben. Aber das hieße, Roya hier oben schutzlos zurücklassen zu müssen – und das wäre ihr Tod. Er stieß ein verzweifeltes Heulen aus, als er mit ansehen musste, wie das Dunkelwesen den kopfgroßen, schwarz schimmernden Wächterstein
in die Höhe hob und aus dem Runenkreis trug. Im selben Moment
erlosch eine Kraft in der Halle der Jungdrachen.
Einen Augenblick später schon heulten die Maschinen des Drakkenbootes auf. Es schob sich auf das unendlich dünne Geflecht
zu, das sich durch die Einflugöffnung spannte – und es zerriss wie
ein hauchfeines Spinnennetz.
Flieht, meine Freunde!, schrie Marko ins Trivocum hinaus.
Flieht und berichtet, was hier geschehen ist. Es ist vorbei, ihr
könnt mir nicht mehr helfen!
Als das Drakkenboot die Hallenmitte erreicht hatte, kamen die
nächsten Dunkelwesen schon wieder auf die Plattform herauf.
Keiner der Jungdrachen war geflohen; mit protestierendem Gekreisch umflatterten sie das Drakkenboot, während Marko alles
an Kräften zusammenraffte, was er nur aufzubringen vermochte,
und die Schattenwesen in einem tödlichen Tanz seiner rostigen
Waffe zurücktrieb.
Dann erwischte ihn etwas am Oberschenkel, gleich darauf an
der rechten Schulter und am Kopf.
Besinnungslos brach er zusammen.
Als sein Bewusstsein kurz darauf noch einmal aufflackerte,
schmeckte er Blut im Mund – viel Blut. Er musste husten, und ein
ganzer Blutschwall brach aus ihm hervor. Stöhnend sank er zurück.
Roya!
Er bäumte sich auf und versuchte sich aufzurichten. Irgendwo
links von mir muss sie liegen, dachte er, rollte sich herum und
versuchte die Augen zu öffnen.
Dunkelwesen sah er keine, Drachen konnte er ebenfalls nicht
mehr ausmachen, dafür aber lag das Drakkenboot mitten in seinem Blickfeld. Es schwebte nahe der Felsplattform, und seine
seitliche Tür war geöffnet.
Eine Art Treppe wurde ausgefahren und berührte den flachen
Boden – keine zehn Schritt von ihm entfernt. Zwei Männer standen dort; hinter ihnen glaubte Marko zwei Drakken erkennen zu
können.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, während der sein Geist immer wieder fortzutrudeln drohte. Muss ich jetzt sterben?, dachte
er kraftlos. Ohne Roya wenigstens noch einmal umarmt zu haben?
Einer der Männer setzte sich in Bewegung. Es war ein großer,
kräftiger Mann. Irgendwoher kannte er die Art, wie er sich bewegte.
Quendras!
Ein erleichtertes Lächeln glitt über Markos Züge, als Quendras
auf ihn zukam. Der hoch gewachsene, ehemalige Bruderschaftsmagier kniete sich bei ihm nieder und berührte ihn an der Brust.
»Töte ihn!«, schallte plötzlich Stimme auseine scharfe dem Hintergrund, die Marko nicht kannte. Ein kalter Schrecken durchströmte ihn.
Quendras erhob sich wieder, und während Marko Hilfe suchend
die Hand nach ihm ausstreckte, kreischte die Stimme ein weiteres
Mal: »Los! Töte ihn!«
Marko wandte den Kopf nach links und sah, wie Quendras seine
geliebte kleine Roya wie eine Puppe aufhob, ein paar Schritte in
Richtung des Drakkenbootes lief und dann stehen blieb, um noch
einmal kurz zu ihm zu blicken.
»Der stirbt ohnehin«, murmelte er, wandte sich wieder um und
stieg die kleinen Stufen hinauf, um mit Roya im Boot zu verschwinden.
Markos Kopf sank zurück. Er war bereit, Quendras zu glauben.
Warum er nur Roya rettete und warum der andere verlangt hatte,
dass Quendras ihn töten solle, lag weit jenseits des winzigen Restes Vorstellungskraft, den Marko noch aufbringen konnte.
Er würgte einen weiteren Blutschwall hervor, und während die
Maschinen des Drakkenbootes aufheulten, versank alles um ihn
herum in ewiger Nacht.
18
Die Gestade von Chjant
Die Reise entlang der Küste in Richtung Norden wurde immer
beschwerlicher. Bis zum Mittag waren Ullrik, Hellami und Cathryn
einigermaßen gut vorangekommen, dann aber war das Gelände
schwierig geworden. Auch Cathryns Zustand hatte sich nicht gebessert. Sie schien mit Roya zu leiden, was immer ihr auch widerfahren sein mochte. Immerhin: Roya lebte, dessen war sich Cathryn gewiss. Aber seelisch schien es ihr sehr
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