Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
wohlgeordnete Zusammenfassung
aller Indizien, samt den Verweisen auf Belege und Beweise – eine
ordentliche Arbeit, wie Ötzli feststellte. Er hatte in seinen Jahren
als Vertreter des Cambrischen Ordens sowie später, als Vorsitzender des Hierokratischen Rates, genügend Erfahrung gesammelt, um eine Anhörung wie diese aus dem Stegreif leiten zu
können – und zwar erfolgreich. Auf einen Ketzerprozess würde er
sich natürlich gründlicher vorbereiten. Aber das kam erst noch.
Dies war erst eine Anhörung. Vielleicht dankte ja Ain:Ain’Qua sofort ab, dann war die Sache erledigt.
Simonai öffnete das Köfferchen auf seinen Knien und zog eine
weitere Mappe hervor. Er legte sie darauf und öffnete sie. »Wir
hätten noch etwas, Eminenz. Erinnert Ihr Euch an den Vorfall im
Asteroiden ring von Aurelia-Dio? Mit dem Pontifex?«
Ötzli hob den Kopf. »Das mit dem Haifanten, der vernichtet
wurde? Und diesen beiden verlogenen Ordensrittern?«
Simonai schüttelte eifrig den Kopf. »Offenbar waren sie nicht
verlogen, Eminenz. Wir haben den Fall genauer untersucht. Dass
der Pontifex tatsächlich dort anwesend war, steht nun fest.
Aber wir haben inzwischen auch klare Hinweise darauf, dass er
dieses Mädchen getroffen haben muss. Diese Leandra. Und zwar
bei einer Gruppe von Gesetzesbrechern, den so genannten Brats.
Raumpiraten. Sie haben dort im Asteroidenring geheime Schlupfwinkel.«
Ein heißer Schauer erfasste Ötzli, unwillkürlich richtete er sich
auf. »Ist das wahr? Ain:Ain’Qua kennt Leandra?«
»Nicht nur das. Allen Anzeichen nach hat er ihr sogar geholfen.
Ich habe mir erlaubt…«, er blickte unsicher zu Julian und räusperte sich,»… gewisse Spionageprogramme in den Datennetzen der
Kirche zu nutzen. Es sind kirchliche Gelder geflossen, namentlich
im Aurelia-Dio-System. Aus geheimen Kassen zwar, aber wir haben es trotzdem gemerkt. Die Gelder sind nirgends auf den geheimen Konten der Kirche wieder aufgetaucht.« Er reichte Ötzli
einen Zettel, auf dem lange Zahlenreihen aufgelistet waren. Drei
davon waren rot umkreist. Er beugte sich herüber und deutete
geschäftig auf einen der Kreise. »Diese hohe Summe, Eminenz,
zwei Millionen, dürfte der Heilige Vater als Lösegeld für sich selbst
gezahlt haben. An die Brats, um wieder frei zu kommen. Bei denen sind solche Lösegelder üblich.« Er deutete auf die anderen
beiden Kreise. »Interessanter aber sind diese beiden kleineren
Beträge. Ich könnte mir vorstellen, das war ein wenig Taschengeld.« Er lächelte. »Für Leandra und ihren Begleiter. Das würde
sich dann mit dem decken, was die beiden überlebenden Ordensritter berichtet haben.«
Ötzlis Blicke waren wölfisch. Er hatte wieder eine Spur von
Leandra!
»Das Ganze ist über drei Wochen her«, warf Julian ein. »Inzwischen könnte sie sonst wo sein.«
»Das macht nichts«, erwiderte Ötzli mit leuchtenden Augen.
»Ich weiß schon, wie wir sie kriegen.«
Simonai räusperte sich. »Oh. Wirklich?«
Ötzli nickte eifrig und wandte sich an Julian. »Welche Möglichkeiten stünden offen, wenn es zu einer offiziellen Anklage gegen
Ain:Ain’Qua käme? Ich meine, mit welchen Auflagen könnten wir
ihn belegen?«
Julians Miene war umwölkt. »Ihr meint jetzt, nach der Anhörung?«
Ötzli wusste es besser. Spiel nur den Betroffenen, du PusmohSpitzel dachte er. Ich hab dich längst erkannt. »Ja, nach der Anhörung. Womit kann ich ihn da belegen?«
Julian zuckte mit den Schultern. »Nun ja, das kommt auf die
Schwere der Vorwürfe und auf eine mögliche Fluchtgefahr an. Es
reicht von gar nichts über Hausarrest bis hin zu Einkerkerung.
Letzteres allerdings wohl nur, wenn das Konzil mit der Großen
Mehrheit einen Verdacht wegen schwerer Ketzerei ausspricht.«
Ötzli lächelte. »Wirklich? Das ist höchst interessant.«
*
Ain:Ain’Qua hatte seine Große Amtsrobe angelegt und trug das
Geheiligte Schwert des Glaubens auf dem Rücken. Seine Vermutung war richtig gewesen – noch immer tat seine Erscheinung,
besonders in diesem Aufzug, ihre Wirkung. Die Hälfte der anwesenden Kardinale des Konzils hielten die Blicke demütig gesenkt,
ein Teil der anderen wagte nicht, ihn direkt anzusehen. Als er in
die Runde schaute, stellte er fest, dass etwa dreißig von ihnen
anwesend waren; für diese Anhörung mochte das ausreichen,
obwohl es beleidigend war. Für einen Prozess hingegen waren
achtzig Prozent der dreihundert Mitglieder des Konzils erforderlich. Wahrscheinlich sogar alle, wenn es um einen Prozess
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