Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
sogleich dafür, dass er sich benahm wie ein verliebter Halbwüchsiger. War sie deshalb so sanft und mädchenhaft,
weil sie um die Wirkung dieses Verhaltens auf ihn wusste? Oder
war sie wirklich so: wie ein kleines Kätzchen, unendlich weich und
zart?
Er wusste es nicht und nahm sich vor, sich nicht einwickeln zu
lassen. So süß sie auch sein mochte – er war ein erwachsener
Mann und durfte sich nicht zu kindhaftem Verhalten verführen
lassen. Wer konnte schon sagen, warum sie ihn wirklich hatte
begleiten wollen. Sicher nicht, weil sie seinen alten, faltigen Körper so liebte. Brummend erhob er sich und sah auf sein ArmbandChronometer, das einzige Stück fremder Technik, das er sich zu
Eigen gemacht hatte. Diese Dinger zeigten die Zeit an und konnten einen sogar wecken, was ungemein nützlich war.
»Noch eine Viertelstunde, bis der Rücksprung stattfindet«, sagte er, während Kleider er in seine schlüpfte. »Du solltest aufstehen. Du weißt ja, wie schlecht dir gestern geworden ist.«
Sie drehte sich herum, zeigte ihm keck die Brüste und fragte
grinsend: »Heißt es nicht, dass man sich bald daran gewöhnen
würde? Ich habe noch keine Lust aufzustehen.«
Ötzli versuchte, sich zusammenzunehmen. Er hätte nicht gedacht, dass ihn der Körper einer Frau noch einmal in ein solches
leidenschaftliches Verlangen treiben könnte. Und Lucia schien
längst zu wissen, welche Wirkung sie auf ihn hatte.
»Los, trödel nicht, Mädchen!«, befahl er unwirsch, aber der Befehl war mehr an sich selbst gerichtet, an seine aufschäumende
Lust, ihren Reizen nachzugeben und sich wieder zu ihr zu legen.
Er musste bis zum Sprung unbedingt auf die Kompensationsliege
gelangen, andernfalls würde er seine unmittelbare Umgebung mit
seinem Mageninhalt verzieren und sich danach zwei Stunden mit
Kopfschmerzen und Bauchweh herumplagen.
Lucias Gesichtszüge glitten übergangslos in einen Ausdruck
schuldbewusster Unterwürfigkeit. Sie sprang aus der Koje, kam
zu ihm und schmiegte sich entschuldigend an seine Seite. Wieder
stöhnte er innerlich. Sie war völlig nackt. Ihr Körper war so
schön, dass es ihn fast schmerzte, ihre Haut so weich wie Seide,
und ihre blonden Haare dufteten wie eine Wiese.
Für Sekunden gab er ihr nach, löste sich dann aber mit einer inneren Kraftanstrengung von ihr und wandte sich ab, damit sie
nicht sah, wie sehr sie ihn bewegte.
Wohin soll das noch führen, du alter Trottel?!, schalt er sich.
Er beeilte sich, sich anzukleiden, winkte ihr kurz und verließ
dann die kleine Kabine. Wenn es hier nur nicht so eng wäre! Aber
natürlich gab es auf einem Drakkenschiff keine Unterkünfte für
Liebespaare.
Liebespaare!, höhnte er innerlich.
Minuten später betrat er die Brücke der L-2367, des kleinen
Drakkenkreuzers, den ihm der Doy Amo-Uun zugewiesen hatte.
Als er das Brückenschott durchschritt, wandte sich ihm LiinGhor,
der Drakken-Offizier, zackig zu und machte Meldung: »Wir springen in sieben Minuten zurück in den Normalraum, Kardinal Lakorta. Zwei Stunden später werden wir den Orbit von Soraka erreicht
haben.«
»Sehr gut«, murmelte Ötzli und begab sich direkt zu den beiden
Kompensationsliegen, die im rückwärtigen Teil der Brücke aufgestellt waren. Ein kurzer Seitenblick sagte ihm, dass Nuntio Julian,
der päpstliche Gesandte, noch nicht anwesend war. Da es nur
zwei solcher Liegen gab, würden entweder er oder Lucia während
des Rücksprungs auf den Komfort der Kompensation verzichten
müssen.
Ötzli hoffte, dass Lucia früher als Julian erscheinen würde, denn
lieber war es ihm, dass ihr nicht übel wurde. Doch soweit er
wusste, machte Julian ein Sprung ohne die Liege nicht allzu viel
aus. Er würde diesen lästigen Kerl, den der Doy Amo-Uun auf ihn
angesetzt hatte, auf diese Weise nicht sonderlich strafen können.
*
Seit vielen Stunden schon wanderte Azrani durch die fremde
Welt.
Die Pyramide hatte sie absichtlich gemieden – sie war dessen
sicher, dass sie in ihr auf etwas Ähnliches stoßen würde wie in der
Pyramide von Veldoor; etwas, das sie von hier fort an einen anderen Ort zu bringen vermochte. Aber das wollte sie im Augenblick nicht.
Inzwischen fühlte sie sich in ihrem neuen >Anzug< aus schwachem gelb-orangefarbenem Licht recht wohl. Er gab ihr ein außergewöhnliches Gefühl von Bewegungsfreiheit und Unbeschwertheit; sie glaubte, diese seltsame, fremde Welt nur umso besser
erkunden zu können, wenn sie es mit all ihren Sinnen tat, frei von
Gepäck und Kleidern, sozusagen
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