Höhlenwelt-Saga 7 - Die Monde von Jonissar
Amaji-Drachen, deren Gebeine hier seit Jahrtausenden unter einem Leichentuch aus schwarzem Nichts lagen.
Irritiert blickte sie auf, während sich der Abon’Dhal dem Mhorad
Okaryn näherte. Wie die Dreieckswelt, deren wahren Namen sie
nicht kannte, war Jonissar eine Welt, auf der einmal eine grauenvolle Katastrophe stattgefunden hatte. Auch Azranis Heimat, die
Höhlenwelt, hatte ein solches Ereignis aufzuweisen. Vor etwa
fünftausendfünfhundert Jahren waren die gigantischen Höhlen
erst entstanden. Ein gewaltiger Krieg hatte die Oberfläche verwüstet, und zweifellos waren in diesem Krieg ebenfalls Millionen
umgekommen.
Was hatte das zu bedeuten? Was wollten die Baumeister ihr als
Besucherin dieser Welten, die durch die Pyramiden-Bauwerke
verbunden waren, wohl mitteilen?
Okaryn näherte sich nun rasend schnell, doch Azrani schöpfte
einen seltsamen, neuen Mut aus ihren Erkenntnissen – obwohl sie
ihr weder eine Idee noch eine Waffe zuspielten, wie sie dem Terror der Abon’Dhal entfliehen konnte. Sie drückte Laura an sich,
froh darüber, einen warmen, lebendigen Körper neben sich spüren zu dürfen, und sagte sich, dass sie allein deshalb schon überleben musste, um das wundersame Geheimnis der Baumeister zu
lüften. Dieses Geheimnis, diese Botschaft, war auf einer höheren
Ebene wichtig, das spürte sie.
Der Abon’Dhal setzte zur Landung in einem Innenhof an, und
Azrani, deren Schulter noch immer von dem stinkenden, eiskalten
Phryx umklammert wurde, holte tief Luft, um sich für die nächsten Gemeinheiten dieser Drachenwesen zu wappnen.
*
Azizh hatte ihnen einiges über Okaryn berichtet, wie es auch
andere der Dorfbewohner getan hatten, die schon einmal hier
gewesen waren – aber auf diesen Anblick konnte einen wohl niemand so recht vorbereiten.
Dass die Drachen großartige Baumeister waren, wenn sie auch
in ganz anderen Dimensionen dachten als Menschen, wussten
Azrani und Laura bereits aus Xahoor. Und wäre die Wesensart der
Abon’Dhal nicht so boshaft und schlecht gewesen, hätte man in
atemloses Staunen verfallen können. Abermals war es die schiere
Größe, die Azrani und Laura beeindruckte; alles war für Riesen
gebaut, jede Treppenstufe, jedes Fenster, jeder Durchgang und
jede Passage. Mit in den Nacken gelegten Köpfen blickten sie zu
den titanischen Bauwerken auf. Dabei wirkte alles zugleich auch
eng; es fehlten große, freie Flächen, nirgends gab es eine weite
Wand, einen ausgedehnten Platz oder eine unverbaute Fassade.
Azrani sah zahllose Erker, Anbauten, Balustraden, Wehrgänge,
Strebepfeiler, Türme und Arkaden, die endlos ineinander übergingen und jeden freien Platz beanspruchten. Der Baustil war anders
als bei den Abon’Shan: Hier herrschten eckige, derbe Formen vor,
die wuchtig und stark erscheinen wollten; allein die Kanten, die
zum Teil schräg und geschwungen waren und einem unsichtbaren
Punkt weit oben über der Festung entgegenzustreben schienen,
brachten hier und dort ein kleines, verspieltes Element in den
Baustil ein. Als bedrückendes Merkmal aller Bauten empfand Azrani jedoch, dass sie allesamt so gepflegt aussahen. Es erweckte
ganz den Anschein, als hätten sich die Abon’Dhal auf eine längere
Zeit uneingeschränkter Regentschaft eingerichtet, ungeachtet des
jämmerlichen Zustands ihres Reiches. Hier spiegelte sich die
Überheblichkeit dieser Wesen wider: Sie wollten herrschen und
errichteten sich zu diesem Zweck großartige Bauten, egal, ob
unter ihren Füßen alles tot und verfault war.
Auf diese Weise schlich sich unmerklich ein böses Etwas in diese
großartige Umgebung ein. Die weiten, von Bogen umfassten
Fensteröffnungen wirkten plötzlich wie hilflos klagende Münder,
die wuchtigen Wachtürme wie verdrossen dahockende Fettwänste
und die spitzen Innentürme der Festung wie linkisch hinausgereckte Stacheln, um Eindringlinge fern zu halten. Die zahllosen
Verzierungen schrumpften zu effektheischendem Schnickschnack,
die opulent überbauten Portale zu großtuerischem Pomp – und
die Größe des gesamten Komplexes zu nichts als dröger Angeberei.
Azrani und Laura standen nebeneinander auf einem kleinen
Platz im Innern der Festung. Der unerträglich stinkende Phryx
stand mit seinem riesigen Spieß wie ein Wächter hinter ihnen,
während der Drache, der sie hier abgesetzt hatte, durch einen
Durchgang verschwunden war, so als kümmerte es ihn nicht im
Mindesten, ob sie in einem Jahr noch hier standen oder nicht.
Laura sah Azrani kurz an und warf
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