Hoelle auf Zeit
Cavendish Square. Dort saß er auch an jenem Morgen neben dem Kamin, trank gemütlich Tee und sah einen Stapel Akten durch, als sein Diener Kim, ein Gurkha, erschien.
»Colonel Villiers ist hier, Sir. Es ist dringend, sagt er.«
Ferguson nickte. Kurz darauf kam Tony Villiers herein in schwarzem Rollkragenpullover, Tweedjacke und verblichenen grünen Cordhosen. Sein Gesicht war totenblaß, die Augen dunkel umrandet – ein Bild tiefer Verzweiflung. Er hatte eine Aktentasche bei sich.
»Mein lieber Tony.« Ferguson erhob sich. »Was in aller Welt ist denn los?«
»Dieser Bericht ist soeben eingetroffen, Sir. Er wurde in den Computer eingespeist und landete nach der üblichen Überprü fung auf meinem Schreibtisch.« Ferguson ging ans Fenster und studierte den Bericht, den Villiers ihm gegeben hatte.
»Höchst ungewöhnlich.« Er drehte sich um. »Aber wieso Sie, Tony? Das verstehe ich nicht.«
»Eric Talbot war der Sohn meines Vetters Edward. Sie erin nern sich doch an Edward, Sir? Colonel bei den Fallschirmjä gern? Im Falklandkrieg gefallen.«
»Mein Gott, ja. Sie sind also verwandt?«
»Genau, Sir.«
»Aber wenn der Junge sich für diesen George Walker ausge
geben hat, wie konnte dann die Polizei in Kent ihn so schnell identifizieren?«
»Die Leiche war nur zum Teil verbrannt. Sie konnten die Fingerabdrücke abnehmen, und die waren im staatlichen Com puter gespeichert.«
»Tatsächlich?« Ferguson runzelte die Stirn.
»Der Junge war Student in Cambridge – Trinity College. Letztes Jahr ist er bei einer polizeilichen Razzia in der falschen Gesellschaft aufgegriffen worden.«
»Rauschgift?«
»Richtig. Die Anklage lautete nur auf Drogenkonsum, des
halb kam er nicht ins Gefängnis. Das alles hab ich eben erst über das Central Records Office beim Yard herausgefunden.«
Ferguson ging an seinen Schreibtisch und setzte sich. »Tal
bot, ja. Ich erinnere mich jetzt an Colonel Talbots Tod auf den Falklandinseln. Absturz, stimmt’s?«
»Ja, er war Verbindungsoffizier zu den Welsh Guards.«
»Und der Vater war Baronet, wenn ich mich recht erinnere. Sir Geoffrey Talbot.«
»Er hat einen Schlaganfall erlitten, als seine Frau starb«, er klärte Villiers. »Seitdem ist er in einem Sanatorium. Kann nicht einmal mehr die Tageszeit unterscheiden.« Er hielt inne. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir einen Drink geneh mige, Sir?«
»Selbstverständlich nicht. Bedienen Sie sich, Tony.«
Villiers ging zur Kredenz und goß Brandy in ein geschliffe
nes Glas. Damit stellte er sich ans Fenster und schaute hinaus. »Sir Geoffrey ist mein Onkel, verstehen Sie, Sir. Der Bruder meiner Mutter, auch wenn wir uns nie sonderlich nahegestan den haben.«
»Es tut mir aufrichtig leid, Tony. Ein Segen, daß der alte
Knabe das nicht mehr erfassen kann. Ich meine, daß er einen Erben auf den Falklands verloren hat und den anderen auf diese besonders grauenvolle Weise.« Er wies auf den Bericht. »Ich frage mich, wer den Titel erbt.«
»Ich, Sir.«
Ferguson nahm sichtlich betroffen die Brille ab. »Unter nor
malen Umständen wäre dies ein Grund zum Gratulieren.«
»Ja. Vergessen wir das und konzentrieren uns hierauf.« Vil
liers öffnete die Aktentasche und holte ein Plastikpäckchen heraus, das er dem Brigadier auf den Schreibtisch legte. »Hero in, und das Labor war nach kurzer Untersuchung sofort der Meinung, daß es sich um ganz erstklassigen Stoff handelt. Das ist die Sorte, die man dreimal strecken und immer noch auf der Straße absetzen könnte.«
»Fahren Sie fort«, sagte Ferguson mit ernstem Gesicht.
»Es wurde bei der ärztlichen Untersuchung in Erics Leiche gefunden. Der Leichenbeschauer stellte außerdem eindeutig fest, daß der Junge seit Tagen tot war und daß eine Obduktion stattgefunden hatte. Und zwar in Frankreich, wie er an der angewandten chirurgischen Technik erkannte. Also probierte die Polizei in Kent es mit den Fingerabdrücken bei der Sûreté in Paris und brachte das hier heraus.«
Villiers schob ihm einen weiteren Bericht zu, den Ferguson eingehend prüfte. Schließlich lehnte er sich zurück. »Was haben wir also? Der Junge fährt mit einem falschen Paß nach Paris, ertrinkt unter Drogeneinfluß in der Seine. Nach der gerichtsärztlichen Obduktion wird seine Leiche unter Vorlage von gefälschten Papieren abgeholt und nach England geflo gen.«
»Vollgestopft mit
Weitere Kostenlose Bücher