Hoelle auf Zeit
über den Bahnsteig dem Ausgang zusteuerte. Sie sauste hinterher.
Jago, ein Lächeln auf dem Gesicht, schickte sich ebenfalls an zu gehen. »Mit Ruhm habt ihr euch nicht gerade bekleckert, was?« spottete er. Zwei der Jugendlichen lagen auf dem Bo den, während sich die anderen über sie beugten.
Er schlüpfte hinaus, und der Junge mit dem Nasenring brüllte ihm nach: »Dir werd ich’s zeigen, du Scheißkerl!«
Er kam durch die Tür, ein Schnappmesser in der Hand. Als die Klinge aufsprang, packte Jago ihn beim Handgelenk und drehte den Arm so lange herum, bis der Junge das Messer fallen ließ. Es knackte hörbar, der Junge schrie auf.
»So ein Pech, ich hab ihm den Arm gebrochen«, sagte Jago und stieß ihn durch die Tür zurück, so daß er auf den beiden anderen landete, als der Zug anfuhr.
Am Fuß der Rolltreppe angelangt, sah er Sarah oben, unmit telbar hinter Egan. Jago lief im Sturmschritt hinauf und dann in die Eingangshalle, wo Egan stand und in den strömenden Regen hinausschaute. Sarah näherte sich ihm, Jago holte eine Zeitung aus dem Papierkorb, lehnte sich unweit von den beiden an die Wand, anscheinend in die Lektüre vertieft.
Er hörte sie sagen: »Mr. Egan, ich muß mit Ihnen sprechen.«
»Wird allmählich auch Zeit«, entgegnete Egan. »Sie sind mir
lange genug überallhin gefolgt.«
»Sie wußten es?« fragte Sarah fassungslos.
»In Belfast würden Sie’s an einem verregneten Samstag
abend nicht lange durchhalten, wie ein guter Freund von mir zu sagen pflegte. Im Barraum des ›Bargee‹ sind Sie aufgefallen wie ein bunter Hund und danach immer wieder in regelmäßi gen Abständen. Ich muß zugeben, Sie haben Ausdauer – auch wenn es Ihnen an Geschicklichkeit, an Finesse fehlt. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern mit Ihnen reden.« Sie zögerte, suchte nach den richtigen Worten. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Lady, ich kann mir nicht mal selber helfen.«
Er klappte den Mantelkragen hoch und trat in den Regen hin
aus. »Bitte hören Sie mir zu«, flehte sie. »Es handelt sich um Ihre Schwester.«
Er drehte sich um, jetzt ungewöhnlich ruhig, gefaßt. »Meine Schwester?«
»Ja, Sally. Sally Baines Egan. Sie waren heute an ihrem Grab.«
»Und was hätten Sie mir über sie zu sagen?«
»Nicht allzuviel über Sally, aber eine ganze Menge darüber, wie sie ums Leben gekommen ist, Mr. Egan.«
»Wie sie ums Leben gekommen ist?« Er nickte. »Sie haben eine merkwürdige Art sich auszudrücken, Miss …?«
»Talbot – Mrs. Sarah Talbot.« Sie fügte erklärend hinzu: »Ich bin verwitwet, Mr. Egan, und ich hatte einen Stiefsohn, der jetzt tot ist, genauso wie Sie eine Adoptivschwester hatten, die jetzt tot ist. Ich denke, wir sollten uns darüber unterhalten.«
»Einverstanden. Und wo?«
»Ich habe eine Wohnung in der Lord North Street.« »Das liegt sowieso auf meinem Weg.« Er winkte ein vorbeifahrendes Taxi heran. »Wir holen meinen Wagen in Hampstead.«
»Ich dachte, Sie haben ihn dort in der Werkstatt gelassen.« »Ach, dem fehlte nichts weiter«, erklärte er, als er nach ihr einstieg. »Ich war es bloß leid, durch die Gegend zu kutschie ren. Ich wollte sehen, wie Sie darauf reagieren.«
Es dauerte fünf Minuten, bis Jago ein Taxi erwischte und hinterherfuhr, um wieder an seinen Spyder zu kommen. Aber es eilte ja nicht. Er kannte sein Ziel, sämtliche Geräte waren installiert und funktionsbereit. Er lehnte sich zurück und zündete eine Zigarette an. Der Abend hatte sich wirklich gelohnt. Sehr abwechslungsreich, und Egan in Aktion war wirklich spannend gewesen. Es dürfte eine reine Freude werden, ihn als Gegenspieler zu haben.
Als Jago eintraf, brannte in der Lord North Street bereits Licht. Er eilte in das gegenüberliegende Haus, wo Smith die Woh nung im obersten Stock gemietet hatte.
Der Pförtner, der Zeitung lesend am Schreibtisch saß, blickte hoch. »Scheußliches Wetter, Mr. Mackenzie.«
»Gut für den Garten, das ist aber auch schon alles.«
»Nicht im November«, korrigierte ihn der Pförtner griesgrä mig. »Keine Nachrichten für Sie, Sir.«
Das Haus hatte nur vier Etagen, so daß es sich kaum lohnte, auf den winzigen Lift zu warten. Jago ging zu Fuß die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend. Drei Minuten später goß er sich einen Scotch ein und hörte mit, wie Sean Egan und Sarah Talbot sich miteinander unterhielten.
Das
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