Hölle ohne Hintertür
Wird nachher verklickert.«
»Wenn ich dich nicht hätte.«
Gaby spitzte die Lippen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn.
Tims Aufmerksamkeit galt dem
Parkplatz. Dort rollte soeben ein dunkelgraues BMW-Flaggschiff auf anderthalb
Parktaschen, denn eine hätte nicht ausgereicht. Tim sah das Kfz-Kennzeichen und
wurde noch aufmerksamer. Unzweifelhaft kam der Wagen aus jener nicht allzu
fernen Stadt, in der Martin Flotosko, der Wetter, zu Hause war.
Ein kleiner Mann stieg aus. Er
war ältlich und trug eine mausgraue Uniform, die genauso privat aussah wie die
Chauffeursmütze. Aus dem Kofferraum nahm er einen kleinen Metallkoffer — nein,
es war ein Bordcase, aber metallisch und garantiert versehen mit Zahlenschloss.
Als er losdackelte, hielt er das Case in der rechten Hand und den Arm leicht
angewinkelt, was ziemlich krampfig wirkte.
Klar doch!, dachte Tim. Hugo
bringt das Geld. Offenbar weiß er, was und wie viel in dem Köfferchen ist. Kein
Job für ihn. Er ist kurz davor, sich in die Hose zu machen. Schwitzt Blut und
Wasser. Und ‘ne Miene wie ein verängstigter Iltis.
Hugo schlug den Weg ein zum
Grauen Reaktor, also zur Krankenstation, hatte sich vermutlich angekündigt als
Besucher für Martin.
Jetzt war er aus dem Blickfeld,
und Tim sah versonnen zu der Studienreferendarin hin, die sich redlich an der
Tafel abmühte.
»Tim, träumst du?«, fragte sie
in diesem Moment.
»Nö, Frau Doktor. Wieso?«
»Dein Traummädchen sitzt doch
neben dir.«
»Deshalb träume ich ja auch
nicht.«
Sie deutete auf das ziemlich
verzwickte Zahlenchaos auf der Tafel, das erst halb fertig war und eine
logische Fortsetzung hatte.
»Kannst du mir diktieren, wie’s
hier weitergeht?«
Tim brauchte nur zwei Sekunden,
um sich schlau zu machen, dann diktierte er fehlerlos und so flott, dass die
Lehrerin mit dem Schreiben kaum mitkam.
»Ausgezeichnet, Tim.«
Er verzog keine Miene und sah
wieder zum Fenster hinaus. Das Geld, dachte er, ist also da. Martin löhnt.
Damit kein noch schlimmerer Schaden an seiner Gesundheit entsteht. Die
Geldeintreiber der Zocker-Mafia werden kassieren. Aber wie und wo wird das Geld
übergeben? Und von wem? Wenn Hugo den Überbringer machen soll, braucht er
gleich eine Bett-Reservierung bei Gertrude. Den Chauffeur würde der Herzinfarkt
umhauen, zumindest totales Kraft- und Kreislaufversagen. Wie denkt sich Martin
das? Oder sollen Morolato und Vorderstein hier antanzen? Als Krankenbesucher
mit ‘ner Tüte Matschbananen? Unmöglich! Wen Gertrude über die Schwelle lässt,
der muss vertrauenswürdig sein wie der Papst.
Tim sah auf die Uhr und sehnte
das Ende der Stunde herbei. Die nächste war frei, dann gab’s noch Geschichte
und Schluss war für heute.
*
Er war müde wie ein Hund,
trotzdem hämmerte sein Puls, hämmerte seit Stunden. Gunnar Korlitzer starrte
durch die Windschutzscheibe auf das graue Betonband der Autobahn.
Nur nicht schneller als erlaubt!
Nicht auffallen! Keinen Kontakt riskieren mit der österreichischen Gendarmerie
— aber die hatte er jetzt hinter sich, befand sich nämlich schon südlich des
Brenners — oder der italienischen polizia stradale. Weiß man doch nie, ob die
sich mit der Überprüfung der Papiere begnügen. Ein Blick in den Kofferraum
hätte ihn in Teufels Küche gebracht. Denn dort lag, notdürftig in eine Decke
gehüllt, der Tote. Alexander, sein Zwillingsbruder.
Alina hatte sich im Fond
ausgestreckt, hechelte wegen der Hitze, machte aber keine Probleme. Sie trug
nur ihr Halsband, nicht das Blindenführhund-Geschirr.
Noch drei Stunden, rechnete
Gunnar, vielleicht vier, dann war er im Uro-Tal.
Die Idee war sofort da gewesen,
fast schon beim Anblick des Toten. Der Plan formte sich innerhalb von Minuten
und plötzlich bekam die gesamte Situation ein anderes Vorzeichen, verwandelte
sich vom katastrophalen Notfall zum Glücksfall.
Jedenfalls für mich, dachte
Gunnar. Alex hat’s hinter sich. Sein Dasein war ihm ja ohnehin nichts mehr
wert.
Eine einmalige Chance! Die
Lösung aller Probleme. Ein paar neue Schwierigkeiten zwar, aber die konnte man
meistern.
Gunnar hatte beschlossen, seine
Identität zu wechseln. Ab sofort war er nicht mehr Gunnar Korlitzer, der von
Gangstern verfolgte, verschuldete, spielsüchtige Kunstmaler — sondern
Alexander, der weltabgeschiedene Blinde. Der Wechsel von einer Person in die
andere würde leichter sein als gedacht. Alexander hatte sein Einsiedlerdasein
auf die Spitze getrieben, hatte keine Freunde oder
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