Höllen-Mädchen
die Gegend flogen.
»Allmählich werde ich seekrank«, stöhnte MähreAnne, die ganz bleich geworden war.
»O je. Das würde ich dir nicht empfehlen«, antwortete ich. »Ich bin nicht ganz sicher, ob die Hütte es schätzen würde, wenn du auf ihren sauberen Fußboden… äh, na, du weißt schon.«
»Ich glaub’, ich kann es noch unterdrücken«, gab sie hastig zurück.
Wir klammerten uns im Bett fest aneinander. Uns blieb auch gar nichts anderes übrig, denn die Werhütte irrte weiter durch die Nacht. Manchmal blieb sie stehen, um am Boden zu scharren, oder sie hüpfte hoch und schlug hart wieder auf. Doch meistens wanderte sie einfach nur herum.
»Wären wir woanders, würde ich es genießen, eine Nacht wie diese mit dir in den Armen zu verbringen«, sagte ich einmal zu ihr.
»Ob Storchrufen noch schlimmer ist als das hier?« sagte sie nachdenklich.
»Hoffentlich nicht!« Darauf lachten wir beide ein wenig gequält.
Ich weiß nicht, wieviel Schlaf wir bekamen, aber wenigstens wurde uns nicht mehr schlecht. Am nächsten Morgen ließ die Hütte sich nieder, und wir stürzten hinaus, ohne uns auch nur anzuziehen. Glücklicherweise waren wir mit heiler Haut davongekommen. Es war schon ganz richtig gewesen, MähreAnne nicht mit meinem fürchterlichen Verdacht zu konfrontieren. Wir klemmten unsere Rucksäcke und die Kleiderbündel unter die Arme.
Inmitten eines unbekannten Dorfs fanden wir uns wieder. Auch dessen Bewohner standen gerade auf und traten vor ihre Häuser. Befremdet starrten sie uns an. Offenbar war ihnen entgangen, wie sich das Haus niedergelassen hatte. Dafür sahen sie uns, die wir – zerzaust und spärlich bekleidet – einen ziemlich irritierenden Anblick geboten haben müssen. Die Einhörner blieben verschwunden. Offensichtlich wußten sie nicht, wo die Hütte zur Ruhe gekommen war. Genausowenig wie wir.
»Äh… wo sind wir?« fragte ich in meiner typisch direkten Art.
»Das ist das Süddorf«, antwortete der Mann, der uns am nächsten stand. »Wie habt ihr es geschafft, so schnell ein Haus zu bauen? Gestern abend stand es noch nicht hier. Seid ihr beide nicht ein bißchen jung, euch für solch einen Sport herzugeben? Gehört ihr überhaupt schon der Verschwörung der Erwachsenen an?«
Ich tauschte mit MähreAnne mehr als nur einen flüchtigen Blick. Wie auf ein Kommando drehten wir uns gemeinsam um und gingen zurück in die Hütte. Am hellichten Tag hatte sie offenbar nicht das Verlangen, sich fortzubewegen. Es war dumm von uns gewesen, so unüberlegt aus der Hütte zu stürzen. Ich war immer dazu bereit, die Wahrheit zu sagen, aber ich hatte die Erfahrung gemacht, daß es Situationen gab, in denen niemand die Wahrheit wissen wollte. Mein Leben lang begleitete mich diese Erkenntnis. Ganz besonders dann, wenn die Leute anfingen, mich mit ihren Fragen zu malträtieren.
Kaum waren wir in der Hütte, zogen wir uns erst einmal richtig an. Dabei drehte ich MähreAnne den Rücken zu, um sie nicht in ihren Schlüpfern zu erblicken. MähreAnne zog einen Kamm hervor und brachte ihr Haar in Ordnung. Danach kam ich an die Reihe. Bisher hatte ich immer geglaubt, sie könnte nur in ihrer wilden Art verführerisch auf mich wirken, doch so, wie ich sie jetzt erblickte, gefiel sie mir ebenfalls. Ich mochte ihre Aufmerksamkeit und die Art, wie sie mich umhegte. Auch hierbei handelte es sich um eine jener Erkenntnisse, die besser unausgesprochen blieben, zumal es überhaupt nicht in meiner Absicht lag, das Mädchen seiner wertvollen Unschuld zu berauben.
»Weißt du irgend etwas über das Süddorf?« fragte sie mich.
Etwas wußte ich. »Hier lebt König Ebnez.«
»Der König?«
»Im Jahre 909 hat er den Thron bestiegen. Er regiert seit fast vierzig Jahren. Sein Talent besteht darin, magische Dinge bestimmten Zwecken anzupassen. So hat er zum Beispiel den Totenstein in einen Schild verwandelt, um weitere Einwanderungswellen zu verhindern. Seitdem wurden wir niemals mehr erobert.«
»Das weiß ich! Ist das hier die Hauptstadt?«
»Es gibt keine Städte in Xanth. Das ist das Hauptdorf.«
»Und was machen wir hier?«
»Die Werhütte hat uns hier abgesetzt. Wir befinden uns ein ganzes Stück südlich der Spalte.«
»Südlich von was?«
»Die… äh, ich kann mich nicht genau erinnern.« Das war meine erste Erfahrung, die ich mit den Auswirkungen des Vergessenszaubers machte. Mittlerweile hatte ich meinen persönlichen Schutz verloren, da ich mich schon seit geraumer Zeit weit entfernt von der
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