Höllenbote Angela
erwischte. Jetzt lag er mit dem Oberkörper über der Schreibtischplatte, die Arme vorgestreckt, als wollten sie sich an seiner Computerschreibmaschine festhalten. Das Gesicht sah der Wirt nicht. Doch die Kleidung war blutdurchtränkt. Am Weißen Hemd war die Grundfarbe völlig verschwunden.
Raoul weinte, ohne daß er es merkte. Er ging vor. Er schaute nach rechts. Für die übrigen Einrichtungsgegenstände hatte er keinen Blick, er sah nur die Gestalt, die verkrümmt auf der bunten Couch lag, die gestern noch gelebt hatte und nun tot war.
Denises Haare hatten die gleiche Farbe wie seine. Auch so wunderbar dunkel. Nun nicht mehr, denn diesmal klebte Blut darin. Es war in die Hohe gespritzt. Der Killer oder die Killerin hatten sich am Gesicht seiner Schwester zu schaffen gemacht. Es mußte mit einem spitzen Gegenstand malträtiert worden sein.
Raoul ging näher. Er konnte nicht mehr denken. Er konnte nicht mehr fühlen. Er war in diesen Augenblicken kein Mensch mehr, sondern nur eine ferngelenkte Marionette.
Er blieb neben der Couch stehen. Daß seine Füße dabei in einer feuchten, roten Lache standen, die der Teppich noch nicht ganz aufgesaugt hatte, merkte er nicht.
Er schaute nur seine Schwester an.
Sie bot einen schrecklichen Anblick, doch den sah Raoul seltsamerweise nicht. Für ihn sah sie aus wie immer. Sein Verstand weigerte sich, dieses Bild aufzunehmen.
Wie lange der Wirt auf der Stelle gestanden hatte, wußte er nicht zu sagen. Alles war anders geworden. Die Welt hatte sich für ihn schlagartig verändert. Er drehte sich wieder um. Jedes Geräusch zerrte an seinen Nerven. Plötzlich haßte er das leise Schaben des Jackenleders. Auch seine eigenen Schritte störten ihn. Er atmete die Luft ein und hatte das Gefühl, zugleich Blut zu trinken. Bei diesem schrecklichen Gestank wurde ihm schwindelig. Raoul konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und mußte sich setzen.
Glücklicherweise stand ein Sessel in der Nähe, in den er sich hineinfallen ließ. Dabei rutschte er über die Lehne hinweg und tauchte tief ein.
So blieb er sitzen. Seine Beine waren vorgestreckt. Die Oberschenkel zitterten. Die Hand mit der Waffe lag auf seinem Schoß, und er spürte, wie auch sie zitterte.
Sein Blick war ins Leere gerichtet. Er atmete nur durch die Nase. Er fühlte sich leer. Der Wirt wirkte wie ein Toter.
Irgendwann kam er wieder zu sich. Das heißt, er war in der Lage, wieder nachzudenken. Er dachte an den Anruf seiner Schwester, der ihn hergelockt hatte. Er fragte sich, ob sein Schwager da schon tot gewesen war und seine Schwester zu diesem Anruf gezwungen worden war.
Es hätte so sein können. Im Prinzip allerdings war es gleichgültig. Beide lebten nicht mehr, aber die Person, die seine Verwandten getötet hatte, die gab es noch.
Als er daran dachte, spürte er wieder diesen Schauer, der über seinen Rücken rann. Es war überhaupt das erste Gefühl nach dieser verdammten Starre.
Er holte tief Luft und stellte fest, daß er eigentlich günstig saß. Keine Leiche lag in seinem Blickfeld. Dennoch überkam es ihn. Er konnte nicht mehr. Plötzlich mußte er einfach weinen. Der Tränenstrom brach aus ihm hervor, und Raoul selbst sackte zusammen. Er kippte dabei zur Seite, und nur die linke Lehne fing ihn ab.
Das Leben war für ihn plötzlich so sinnlos geworden. Er zweifelte selbst an seiner eigenen Existenz, und mächtige Schuldgefühle stiegen in ihm auf.
Barnes gab sich die Schuld daran, daß Denise und Roger nicht mehr lebten. Er hatte sie zwar nicht umgebracht, aber er war indirekt daran beteiligt gewesen. Hätte er sich nicht mit diesem verdammten Dienst eingelassen, wäre so etwas nicht passiert. Jemand hatte sich schrecklich dafür gerächt, daß diese Angela Sarti durch die Kugeln aus seiner Waffe gestorben war.
»Verdammt!« keuchte er schluchzend. »Verdammt noch mal. Warum haben sie nicht mich umgebracht? Warum meine Schwester und meinen Schwager? Warum nicht mich? Sie haben nichts, gar nichts damit zu tun gehabt, verflucht noch mal…«
Er wußte die Antwort nicht. Er war auch nicht in der Lage, genau zu überlegen und zu analysieren. Um ihn herum war alles kalt. Eine Kälte wie unsichtbares Eis, das ihn nicht nur äußerlich erfaßte, sondern auch in das Innere seines Körpers kroch. So war er wie zu einer lebenden Eissäule erstarrt.
Er schluckte Speichel und Schleim. Seine Augen brannten. In seinem Kopf tuckerte es. Gedanken kamen in ihm hoch und breiteten sich wie Speere aus. Ihn
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