Hoellenfeuer
Grün tauchte.
Die vier traten aus den Felsen des Klippenweges von Tintagel Castle heraus und gingen über das weite Feld auf die Kirche von St. Materiana zu. Doch während Bess, Michael und Raphael wie gewohnt zügig voranschritten, fiel Eleanor plötzlich mit jedem Schritt weiter zurück. Eine Decke der Angst und Verzweiflung schien über diesem Feld zu liegen. Zu groß und zu schwer, als dass sie dagegen hätte ankommen können. Der Schrecken, die von diesem Ort ausging, war so gewaltig, dass Eleanor das Gefühl hatte, mit jedem Schritt gegen eine Wand zu laufen. Ihr brach der pure Angstschweiß aus, sie zitterte am ganzen Leibe und brachte dennoch keinen Ton heraus, um die anderen vor sich auf sich aufmerksam zu machen. Mit jedem Schritt kämpfte sie sich weiter auf dieses Feld der Angst vor, doch die drei Gestalten vor ihr schienen sich immer weiter von ihr zu entfernen. Plötzlich brachen überall um sie herum wispernde Stimmen aus. Schreie, Satzfetzen, unverständliche Wörter tobten um Eleanor herum. Sie begann wirbelnde Farbflecken und Bewegungen um sich wahrzunehmen, während die zusammenhanglosen Geräusche zu einem ohrenbetäubenden Gebrüll anschwollen. Dann brach sie zusammen und wurde ohnmächtig.
„Sie kommt wieder zu sich.“
Eleanor vernahm Raphaels Stimme , noch bevor sie die Augen zu öffnen imstande war.
„Wo… was war das? Wer…“, stammelte sie. Langsam öffnete sie die Augen, doch das Sonnenlicht blendete sie so stark, dass sich ihre Augenlider sofort wieder zitternd schlossen.
„Ruhig, ganz ruhig “, hörte sie Raphaels sanfte Stimme und eine warme Hand streichelte sie zärtlich über die Stirn. „Du wirst gleich wieder bei Kräften sein.“
Ein warmes Gefühl von Kraft und Stärke durchströmte Eleanors Körper und sie wusste, dass es von Raphael ausging. Unter seiner Hand und dem Klang seiner Stimme begann Eleanor unwillkürlich mit geschlossenen Augen zu lächeln. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Hand nach der seinen griff, die nun auf ihrer Wange lag.
„Jetzt kannst du die Augen öffnen “, sprach Raphaels Stimme und nun schlug Eleanor die Augen auf.
Über sich sah sie das wunderschöne Gesicht Raphaels. Er blickte besorgt auf sie herab, doch als sie ihm in die Augen sah, lächelte er sie zögernd an. Auf seinem Gesicht lag so etwas wie ein Ausdruck von Verlegenheit, wenn dies bei einem Engel möglich sein konnte. Hinter ihm erkannte sie die Gesichter von Bess und Michael, die ebenfalls besorgt aussahen, wenngleich Michael hin und wieder missbilligend zu Raphael blickte.
Erst jetzt begann Eleanor, sich genauer umzusehen. Sie lag im Schatten einer dunklen Mauer, die sich rechts von ihr erhob. Zur Linken erkannte sie dunkle und verwitterte Grabsteine, die in unregelmäßigen Abständen in der grünen Landschaft standen.
„Wir sind hier auf dem Kirchhof von St. Materiana“, sagte Raphael, der ihre Frage erahnt haben musste. „Bleib liegen, bis du dich stark genug fühlst.“
„Hast du heute Morgen genug gefrühstückt?“, fragte Bess. „Du bist einfach umgekippt, als hätte jemand die Fäden einer Marionette durchgeschnitten. Ich habe mich genau in dem Moment zu dir umgesehen, als es passierte.“
Eleanor schüttelte irritiert den Kopf. „Vielleicht war es das“, stammelte sie. „Vielleicht sollte ich etwas essen…“
Auf dieses Stichwort hin trat Michael vor und fasste Eleanor sanft unter dem Arm, um ihr aufzuhelfen. Raphael neben sich ignorierte er geflissentlich.
„Lass uns ganz langsam ins Dorf gehen “, sagte er. „Wir können uns in der Alten Dorfpost mit dem Nötigsten versorgen.“
Eleanors Schädel dröhnte und sie fasste sich unbewusst an die rechte Schläfe, von der der Schmerz auszugehen schien. Als sie ihre Hand zurückzog und ihre Finger betrachtete, klebte Blut an ihnen.
„Du bist unglücklich gefallen“, druckste Michael. „Der Weg dort hinten ist steinig und du bist mit dem Kopf hart aufgekommen. Wir werden es im Dorf abwaschen.“
Mit seiner Hilfe erhob sie sich unsicher. Zunächst sah sie noch Sterne vor ihren Augen aufblitzen. Dann aber atmete sie tief durch und stand endlich sicher. Auf Michaels Arm gestützt verließ sie den Kirchhof, während Bess und Raphael folgten. Ein letztes Mal blickte sie sich um und sah hinter sich die gedrungene Normannenkirche St. Materiana stehen. Schräg hinter ihr erstreckte sich das weite Feld mit den felsigen Klippen, auf dem sie ohnmächtig geworden war. Sonnig und friedlich lag es
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