Hoellenflirt
können.«
Wir steigen an der Silberhornstraße aus und gehen die Tegernseer Landstraße entlang. Der Wind treibt uns eiskalten Sprühregen ins Gesicht, der im Gesicht prickelt wie fliegende Stecknadeln, und in meinem Bauch fühlt es sich ganz ähnlich an. Beißendes Rumoren.
Als wir Giltines Haus erreicht haben, bleiben wir stehen.
»Sieht total normal aus«, stellt Kati fest und trampelt mit den Füßen auf der Stelle, um warm zu werden.
»Was hast du denn gedacht? Dass die in einem Hexenhäus chen wohnen?« Trotz meiner Worte fühle ich mich genauso, als wäre ich Hänsel auf dem Weg in den Ofen.
Ich hole tief Luft. Jetzt muss ich mit der Wahrheit herausrücken.
»Okay, Kati. Ich geh da jetzt rein. Und zwar allein.«
Kati starrt mich entgeistert an. »Das meinst du doch nicht im Ernst, oder?«
Ich nicke so entschieden, wie ich kann. »Hör zu. Die Zeit wird knapp. Valle ging es wirklich schlecht. Wir können uns hier nicht ewig auf die Lauer legen, bis irgendjemand aus dem Haus kommt.«
»Und stattdessen gehst du einfach rein?«, sagt Kati. »Aber Giltine weiß doch, dass du Valle in St. Angela gefunden hast, oder? Einer von ihren Leuten muss ihn da schließlich weggeschafft haben.«
»Keine Ahnung, ob sie mich beobachtet haben«, sage ich. »Vermutlich schon.«
»Guter Plan.« Kati reibt ihre Hände zusammen, um sie aufzuwärmen. »Du spazierst da also einfach rein und bittest sie höflich, Valle herauszugeben, oder was?«
»Natürlich nicht!« Ich verdrehe die Augen. »Ich muss ihr drohen.«
»Ach, na klar«, sagt Kati. »Wie konnte ich das nur vergessen! Natürlich, du drohst ihnen!« Sie schlägt sich mit der Handfläche gegen die Stirn. »Hallo? Wer nimmt denn hier die ganze Sache nicht ernst?«
Ich stampfe mit dem Fuß auf. »Das ist meine einzige Chance, Kati. Ich behaupte einfach, dass ich genug Beweise habe, um zur Polizei zu gehen, wenn sie mir nicht verraten, wo Valle ist.«
Kati sieht mich immer noch kopfschüttelnd an. »Denkst du wirklich, die lassen sich darauf ein? So nach dem Motto ›Wenn du so lieb drum bittest, Toni, lassen wir Valle selbstverständlich sofort frei.‹ Vorher allerdings bekommst du noch eins über den Schädel. Nur zur Sicherheit.«
Ich gebe mir Mühe, meine aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich weiß ja auch, dass mein Plan an allen Ecken und Enden hinkt. Aber habe ich eine Wahl?
»Giltine wird bestimmt ausrasten, ja klar«, erwidere ich. »Doch da kommst du ins Spiel. Wenn sie mir etwas tun wollen, behaupte ich, dass ich dir alle Beweise übergeben habe. Um mich abzusichern. Und falls ich mich nicht in einer Viertelstunde bei dir melde, dann gehst du damit wirklich zur Polizei.«
Kati schüttelt den Kopf. »Das ist doch Wahnsinn, Toni. Ich lass dich nicht allein da rein!« Aber sie sieht schon so aus, als ob ihr Widerstand langsam aber sicher erlahmt.
»Wenn wir zu zweit gehen, sind wir im Zweifelsfall auch beide dran«, setze ich noch eins hinterher. »Kati, eine Viertelstunde! Und du wartest vor der Tür! Da kann doch überhaupt nichts passieren!«
Ich versuche, meine Stimme zuversichtlich klingen zu lassen, aber ich höre selbst, dass ich kläglich damit scheitere. Der Gedanke an Giltines Pharaonenaugen jagt mir Schauer über den Rücken.
Kati seufzt. »Ich weiß nicht.« Plötzlich hellt sich ihre Miene auf. »Ich hab eine andere Idee!« Sie strahlt mich an. »Ich rufe Robert an. Der wird uns helfen, bestimmt Toni, der würde sofort kommen, dann kann der Schmiere stehen und ich geh mit dir da hoch.«
Robert? In mir zieht sich alles zusammen, wenn ich daran denke, wie er mich in den letzten Wochen behandelt hat. Ausgerechnet Robert! Als ob der uns helfen würde, Valle zu retten! Andererseits muss ich zugeben, dass wir nicht viele Optionen haben. Und Robert kennt mich immerhin so gut, dass er weiß, dass ich keine verrückten Geschichten erzähle. Aber ob er mir deswegen auch hilft?
»Kati, lass Robert aus dem Spiel, okay?«, sage ich so bestimmt wie möglich. »Ich geh da jetzt allein hoch. Und wenn ich in einer Viertelstunde nicht wieder zurück bin, rufst du die Polizei.«
Bevor Kati mich aufhalten kann, renne ich zur Wohnungstür, drücke wahllos ein paar der zahllosen Klingeln, bis mir jemand öffnet, und steige diese merkwürdig stummen Betonstufen zu Giltines Wohnung hoch. Einmal drehe ich mich noch nach Kati um.
Sie steht hilflos dort, ihre Hand auf der Hosentasche, als wolle sie ihr Handy hervorholen. Aber sie tut es nicht.
Dankbar
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