Hoellenglanz
wollen doch nur helfen.
Meine Fingernägel gruben sich in die Armlehnen meines Rollstuhls.
Dr. Davidoff ging voran und öffnete uns eine Tür. Wir wurden eine Rampe hinaufgeschoben und fanden uns in einem Beobachtungsraum wieder, von dem aus man einen Operationssaal überblickte. Ich sah hinunter auf einen glänzenden Metalltisch und Tabletts mit schimmernden Instrumenten und umklammerte die Armlehnen fester.
Eine Person hielt sich in dem Raum unten auf, fast außerhalb meines Blickfelds, aber ich erkannte einen schlanken Arm in einem Labormantel, der einer Frau gehören musste.
Dann öffnete sich die Tür des Operationssaals, und eine grauhaarige Frau kam herein – ich erkannte Sue, die Schwester, die ich schon beim letzten Mal kennengelernt hatte. Sie schob eine Bahre vor sich her. Simon lag darauf. Festgeschnallt.
»Nein!« Ich warf mich gegen die Gurte.
Dr. Davidoff lachte leise. »Ich will gar nicht wissen, was du jetzt glaubst, dass wir vorhaben, Chloe. Wir schaffen Simon dort hinein, weil wir ihn an ein Infusionsgerät anschließen müssen. Bei einem Diabetiker kommt es sehr schnell zu Dehydrierung, wenn er sich erbricht. Wir wollen kein Risiko eingehen – nicht, solange er noch unter dem Einfluss des Beruhigungsmittels steht.«
Ich sagte nichts, starrte lediglich mit hämmerndem Herzen zu Simon hinunter.
»Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, Chloe. Und was du da siehst, ist nur unser Behandlungszimmer. Ja, es ist für Operationen ausgestattet, aber einfach deshalb, weil es ein multifunktionaler Raum ist.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Wenn du ganz genau hinsähst, würdest du den Staub auf den Instrumenten erkennen.«
Er zwinkerte mir zu – der freundliche Onkel, der mit dem albernen kleinen Mädchen scherzte –, und ich wollte … ich weiß nicht, was ich wollte, aber etwas an meinem Gesichtsausdruck ließ ihn zurückzucken, und einen Moment lang war der freundliche Onkel verschwunden. Ich war nicht mehr die fügsame kleine Chloe, die er kennengelernt hatte. Es wäre ungefährlicher gewesen, wenn ich sie noch gewesen wäre, aber ich konnte sie ganz einfach nicht mehr spielen.
Er richtete sich auf und räusperte sich. »Wenn du noch einen Blick da hinunter wirfst, Chloe, wirst du noch jemanden sehen, den du kennst.«
Ich sah wieder zu Simon, immer noch auf der Bahre und weiß wie das Laken, das über ihn gebreitet war. Er hörte der Frau in dem Labormantel zu, aber von ihr sah ich nur den Rücken. Sie war schlank, nicht ganz mittelgroß, mit blondem Haar. Und es war das Haar, die Art, wie es fiel, als sie sich über Simon beugte, die mir den Atem in der Kehle stocken ließ.
Dr. Davidoff klopfte kräftig an die Trennscheibe. Die Ärztin sah auf.
Es war Tante Lauren.
Sie beschattete die Augen mit der Hand, als könne sie durch das getönte Glas niemanden erkennen. Dann wandte sie sich wieder an Simon und sagte etwas, das er mit einem Nicken beantwortete.
»Deine Tante hat einen Fehler gemacht«, sagte Dr. Davidoff. »Du warst so verängstigt, als du hierhergekommen bist, dass sie selbst in Panik geraten ist. Sie hat unter extremem Stress ein paar Fehlentscheidungen getroffen. Das ist ihr inzwischen klar. Wir haben Verständnis dafür, wir haben ihr verziehen, und sie ist wieder ein anerkanntes Mitglied des Teams. Wie du selbst sehen kannst – sie arbeitet wieder, sie ist zufrieden und gesund, nicht in irgendeinem Verlies angekettet oder was du dir vielleicht an fürchterlichen Dingen vorgestellt hast, die ihr zugestoßen sein könnten.« Er sah auf mich herunter. »Wir sind keine Monster, Chloe.«
»Und wo ist Rachelle?« Beim Klang von Toris Stimme fuhr ich zusammen. Ihr Rollstuhl stand unmittelbar neben mir, aber ich hatte ihre Anwesenheit vollkommen vergessen. »Sie ist dann wohl als Nächste dran auf der fröhlichen Freunde-wiederseh-Rundreise, nehme ich an?«
Als Dr. Davidoff nicht gleich antwortete, verflog ihr sarkastischer Gesichtsausdruck.
»Wo ist Rae?«, fragte ich. »Sie ist doch hier, oder?«
»Sie ist verlegt worden«, sagte er.
»Verlegt?«
Er zwang den jovialen Tonfall wieder in seine Stimme. »Ja. Dieses Laboratorium ist auf Dauer kaum der beste Wohnort für eine Sechzehnjährige. Es war immer als ein vorübergehender Aufenthaltsort gedacht – was wir euch auch erklärt hätten, wenn ihr lang genug hier gewesen wärt, um uns die Chance dazu zu geben. Rachelle wurde verlegt, in …« Er lachte leise. »Ich werde es jetzt nicht als Wohngruppe bezeichnen,
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