Höllenherz / Roman
blickte verstohlen zu Omara. Sie herrschte über ein großes Reich am nordwestlichen Pazifik, dabei war sie winzig in ihrem langen weißen Wollmantel mit dem flauschigen weißen Pelzkragen. Ihr geflochtener schwarzer Zopf hing ihr über die Schulter und bildete einen scharfen Kontrast zu dem vielen Weiß. Ihre Augen waren von einem dunklen Honigbraun, die Haut wie heller Zimt. Obgleich sie kaum älter als zwanzig aussah, war sie weit älter als Darak.
Eine Reihe Telefonanrufe von Lor und einem Kerl namens Caravelli hatte sie vorbereitet. Andernfalls wäre das
»Oh, hi, wie war der Flug?«
von einem halben Dutzend abtrünniger Söldner wohl nicht so harmlos verlaufen.
Sie seufzte erleichtert, als sie eine Stelle erreichten, an der sich mehrere Tunnel kreuzten. Darak und Iskander hielten ihre Taschenlampen in die Höhe. Sie gingen ganz vorn, die Königin und zwei ihrer Leibwächter gleich hinter ihnen, und als Letzte kamen wieder zwei von Daraks Männern.
Sie leuchteten alles mit ihren Taschenlampen ab; vor ihnen lag eine Tunnelgabelung. In einem der Tunnel verlief mittig ein Wasserkanal, und der unverkennbare Gestank von Verrottendem hing in der Luft.
»Was ist das?«, fragte Omara, die sich eine Hand vor die Nase hielt.
»Wir sind in Hafennähe, Majestät«, antwortete Iskander, der weit höflicher war als Darak. »Manche dieser Tunnel füllen sich bei Flut ganz mit Wasser. Sie wurden früher genutzt, um Waren von den Schiffen in die Stadt zu transportieren.«
»Zum Schmuggeln, meinst du.« Sie klang ein bisschen amüsiert. Wie alle Frauen, schien auch sie von Iskander bezaubert. Darin hatte eines seiner besonderen Talente als Leibsklave bestanden.
An der nächsten Gabelung bogen sie nach rechts. Hier wurden die Tunnel schmutziger und dunkler, bestanden aber zum Glück aus trockenem Beton. Im Schein der Taschenlampe konnte Darak erkennen, wo die Schichten aus Sand und Schmutz weiche Teppiche bildeten und wo es aussah, als wären sie von Füßen aufgewirbelt worden.
»Diese Tunnel werden eindeutig noch genutzt«, murmelte Königin Omara. »Bist du sicher, dass der Weg ungefährlich ist?«
Darak leuchtete den Weg ab. »Wer immer hier unten war, ist in dieselbe Richtung gegangen wie wir.«
Sie gelangten in einen engen Gang, dessen Seitenwände aus gemauerten Ziegeln waren. Darak vermutete, dass ehedem Kohlen über diesen Weg angeliefert wurden, der Tunnel aber längst für andere Zwecke genutzt wurde. Weiter vorn jedenfalls waren noch Reste einer schwarzen Rußschicht auszumachen.
Iskander blickte auf die Karte, die er sich am Computer des Empire Hotels ausgedruckt hatte. »Ich glaube, wir sind unter der Fort Street. Dieser Eingang links müsste in den Keller eines anderen Hotels führen.«
»Ist das gut?«, fragte Darak gereizt.
»Der Gang verbindet zwei Tunnel. Eine Abkürzung sozusagen. Wir sind genau da, wo wir sein sollen.«
»Gut. Alles andere interessiert mich nicht.«
Omara schüttelte einmal kurz den Kopf. »Wir werden beobachtet.«
Darak schaute sich um. Sie hatten alles an Schutzzaubern aktiviert, was in ihrer Macht stand, nur leider verfügte keiner von ihnen über Perrys Magie. »Dann muss oben etwas schiefgegangen sein. Belenos weiß, dass wir ihn getäuscht haben.«
Omaras Augen blitzten. »Bringt mich hinauf, damit ich ihn mir vornehmen kann – sofort!«
Darak gefiel es, wenn eine Königin zu kämpfen bereit war. Deshalb verfluchte er im Geiste das Protokoll, als er ihre Hand packte und sie den engen Durchgang zu den Tunneln entlangzerrte. Anmutig wie ein Reh lief Iskander voraus. Wenig rehgleich hielt er allerdings ein langes Messer in der einen Hand. Sie hatten gerade den Haupttunnel erreicht, als Iskander abrupt stehen blieb und Omara mit Darak kollidierte. Beide gerieten ins Stolpern, doch er konnte sie abfangen, indem er sie mit beiden Armen umfasste. Sie fühlte sich angenehm weiblich an, auch wenn sie für seinen Geschmack ein wenig zu zierlich war.
»Was ist los?«, fragte er, aber da sah er schon, was seinen Freund aufgehalten hatte.
Etwas – zweifellos Belenos und sein Magieball – hatte sie beobachtet. Und gefunden.
Die Strahlen ihrer Taschenlampen wurden von einer schwarzen Wand verschluckt, tintenschwarz wie das Ende der Welt. Ein Fetzen der Finsternis löste sich vom Rest und begann, auf sie zuzukriechen.
Daraks Magen rebellierte und wollte ihm in die Kehle steigen. Er drängte sich an Iskander vorbei, stampfte mit seinem Fuß auf die Schattenschnecke und zerrieb
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