Höllenjagd
normal aus. Nicht dass er gedacht hätte, dass auch nur im Entferntesten die Möglichkeit bestand, Cromwell könnte der Bankräuber sein. Das war eine zu verrückte Idee.
Cromwell nickte. »Ich kenne Horace. Ein prima Kerl. Und ein Gewinn für Ihre Firma.«
Aus der Nähe bemerkte Bell, dass Cromwells Haar akkurat geschnitten war und in der Stirn bereits lichter wurde. Der Bankier war klein und dünn und bewegte sich eher mit weiblicher Grazie als mit männlicher Ungeschliffenheit. Bell nahm in seinen Augen denselben Ausdruck wahr, den er einst bei einem Berglöwen gesehen hatte, den er in Colorado erschossen hatte. Es war ein kalter, beinahe toter Blick.
»Ja, das ist er.«
»Bell? Ich glaube, ich habe den Namen noch nie gehört«, sagte Cromwell, als würde er versuchen, ihn zuzuordnen. Doch dann schien er die Überlegung abzutun, als wäre sie ohne jede Bedeutung. »Leben Sie in San Francisco?«
»Nein, in Chicago.«
Margaret brachte es noch immer nicht fertig, Bell anzuschauen. Sie spürte ein unkontrollierbares Brennen tief in ihrem Innern, und sie wurde rot wie eine Tomate. Dann wurde sie wütend, mehr auf sich selbst als auf Bell, weil sie ihre Gefühle preisgegeben hatte. »Mein Bruder und ich würden unser Abendessen gerne in Ruhe genießen, Mr. Bell. Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden.«
Er sah, wie ihr langer Hals errötete, und war zufrieden. »Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie belästigt habe.« Bell nickte Cromwell zu. »Mr. Cromwell.« Dann drehte er sich um und ging an seinen Tisch zurück.
Sobald er überzeugt war, dass sich Bell außer Hörweite befand, schnaubte Cromwell: »Was, zum Teufel, tut er in San Francisco? Ich dachte, Red Kelly hätte sich um ihn gekümmert.«
»Offensichtlich hat Kelly versagt«, bemerkte Margaret mit einem gewissen Gefühl der Befriedigung.
»Woher wusste er, dass du hier bist?«
»Schau mich nicht an«, sagte Margaret ärgerlich. »Ich habe den Zug von Denver nach Los Angeles unter dem Namen Rose Manteca genommen und mir dann ein Pferd unter einem anderen Namen gekauft. Damit bin ich nach Santa Barbara geritten, wo ich wieder unter einem anderen Namen einen Zug nach San Francisco genommen habe. Er kann unmöglich meiner Spur gefolgt sein.«
»Soll das etwa ein Zufall sein?«
Sie blickte drein wie ein verirrter Hund. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Ganz gleich, aus welchen Gründen er hier in San Francisco ist, seine Anwesenheit riecht nach Ärger.« Cromwell blickte mit einem gezwungenen Lächeln zu den Agenten an ihrem Tisch hinüber. »Ich glaube zwar nicht, dass er eins und eins zusammengezählt hat, aber nachdem er dich gesehen hat und nun womöglich Verdacht schöpft, dass du etwas mit dem Verbrecher zu tun haben könntest, und nun weiß, dass du meine Schwester bist, wird er weiter herumschnüffeln.«
»Vielleicht sollte ich eine Weile verreisen.«
»Keine schlechte Idee.«
»Ich werde eine Passage nach Juneau, Alaska, buchen, gleich morgen früh.«
»Warum Juneau?«, fragte Cromwell. »Dort oben ist es hundekalt.«
»Weil es der letzte Ort ist, wo er mich suchen würde.« Sie hielt inne, und ihre Augen bekamen einen schelmischen Ausdruck. »Und zufällig kümmert sich Eugenes Vater, Sam Butler, in der Umgebung von Juneau um seine Minen.« Margaret lachte und schüttelte so ihre Gefühlsverwirrung ab. »Das gibt mir die Möglichkeit, meine zukünftigen Besitztümer zu inspizieren.«
»Ach, Schwesterherz«, sagte Cromwell freundlich, »du bist wirklich immer für eine Überraschung gut.« Dann warf er dreist einen Blick durch den Speisesaal zu Bell. »Ich frage mich«, murmelte er, »was wohl mit Kelly passiert ist.«
»Vielleicht hat Bell ihn getötet.«
»Vielleicht«, sagte Cromwell. »Wenn das der Fall sein sollte, ist Bell viel gefährlicher, als ich ihm zugetraut hätte. Das nächste Mal kümmere ich mich selbst um ihn.«
Als sich Bell wieder setzte, stand das Kalbsbries bereits auf dem Tisch. Er nahm die Gabel und freute sich darauf, die Delikatesse zu probieren, doch er wurde von den Fragen der anderen davon abgelenkt.
»Ist sie die Frau, die Sie in Denver getroffen haben?«, fragte Bronson.
Bell wich der Frage aus, weil er nicht auf einem für Bronson heiklen Thema herumreiten wollte. »Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht. Ich gebe es zu. Doch die Ähnlichkeit ist frappierend.«
»Sie haben einen Blick für Schönheit«, sagte Bronson mit leisem Lachen.
»Wie finden Sie Cromwell?«, fragte Irvine.
Weitere Kostenlose Bücher