Hoellennacht
unserer Pflege in Zweifel gezogen.«
Sie reichte ihm den Bericht zurück.
» Meine Mutter war verstört. Mir scheint nicht, dass jemand Ihnen daraus einen Vorwurf machen kann«, sagte Nightingale.
» Sie ist in unserer Obhut gestorben, was bedeutet, dass wir die Verantwortung haben«, erklärte Mrs. Fraser.
» Ist die Polizei informiert worden?«, fragte Nightingale.
Mrs. Fraser nickte. » Ja, aber das war reine Formsache«, sagte sie.
» Sie ist in meinen Armen gestorben«, erzählte der Pfleger. » Ich habe sie gehalten, während sie verblutet ist.« In seinen Augen standen Tränen.
» Hat sie irgendetwas gesagt?«, fragte Nightingale.
Der Pfleger schüttelte den Kopf.
» Die Sache ist die, Mr. Nightingale, dass es eindeutig Ihre Besuche waren, die Miss Keeley aus der Fassung gebracht haben«, sagte Mrs. Fraser. » Ich glaube, wir stimmen alle darin überein, dass sie vor Ihren Besuchen ruhig war, wenn auch unkommunikativ. Und danach…«
» Ich verstehe«, sagte Nightingale. » Da will ich Ihnen gewiss nicht widersprechen.«
» Das freut mich zu hören, Mr. Nightingale«, sagte sie.
Nightingale beugte sich vor. » Ich hab nicht vor, irgendjemandem Vorwürfe zu machen, Mrs. Fraser, und ich hoffe, dass Sie die gleiche Haltung einnehmen. Meine Mutter war offensichtlich sehr gestört, und ich weiß, dass Sie sie so gut versorgt haben wie möglich.« Er sah den Pfleger an. » Darren hat meine Mutter gemocht, und ich konnte sehen, dass sie seine Pflege wirklich zu schätzen wusste. Ich gebe Ihnen recht, dass mein plötzliches Auftauchen sie aus der Fassung gebracht hat, aber mir scheint nicht, dass irgendjemand hätte vorhersehen können, dass sie sich etwas antun würde.«
Sie sorgten sich mehr wegen eines eventuellen Gerichtsverfahrens oder des Schadens für ihren Ruf und interessierten sich gar nicht sonderlich für die Frage, warum Rebecca Keeley sich umgebracht hatte, wie Nightingale nun begriff. Bei diesem Treffen ging es ihnen darum, Vorwürfen vorzubeugen, mehr nicht. » Geredet habe ich mit meiner Mutter nur über Familienangelegenheiten. Ich habe ihr Fotos von mir als Kind gezeigt, und wir haben uns darüber unterhalten. Ich weiß nicht, warum sie sich im Garten plötzlich so aufgeregt hat, aber sobald Darren mir gesagt hat, dass ich gehen sollte, habe ich das getan.«
Mrs. Fraser nickte wieder und brachte sogar ein Lächeln zustande. » Danke für Ihr Verständnis, Mr. Nightingale. Sie können sich vorstellen, wie sehr uns das mitgenommen hat. Man verliert nie gerne einen Heimbewohner, und schon gar nicht unter solchen Umständen.« Sie griff nach einem Stift und spielte damit herum. » Wir müssen Anordnungen treffen«, sagte sie. » Für die Bestattung.«
» Wie läuft das denn normalerweise?«, fragte Nightingale.
» Es hängt davon ab, ob der Verstorbene Angehörige hatte oder nicht. Wenn niemand da ist, sorgen wir für einen Gottesdienst im hiesigen Krematorium.«
» Könnten Sie das auch für meine Mutter machen?«, fragte Nightingale. » Soviel ich weiß, bin ich ihr einziger lebender Verwandter, und es wäre eine große Hilfe.«
» Ja, natürlich«, antwortete Mrs. Fraser.
» Ich bezahle dafür. Geben Sie mir einfach Bescheid, welche Kosten entstehen.«
» Mrs. Keeleys Heimkosten wurden von der Gemeinde getragen, und die wird auch für die Bestattungskosten aufkommen«, erklärte Mrs. Fraser. » Nun, was sollen wir mit ihren Sachen machen? Ihren Kleidern und so weiter?«
» Was geschieht denn normalerweise damit?«
» Wenn es Verwandte gibt, übergeben wir diesen alles. Andernfalls lassen wir die Kleidung reinigen und geben sie zusammen mit Elektrogeräten oder anderen Artikeln, für die vielleicht Bedarf besteht, einem wohltätigen Secondhandladen. Den Rest werfen wir weg.« Sie verzog das Gesicht. » Es ist traurig, aber die meisten unserer Heimbewohner besitzen nicht mehr viel, wenn sie hierherkommen.«
» Ihre Kleidung zu spenden scheint mir eine gute Idee zu sein«, sagte Nightingale.
» Das Kruzifix«, sagte der Pfleger. » Vergessen Sie das Kruzifix nicht.«
» Oh, ja, Ihre Mutter hat es immer getragen«, sagte Mrs. Fraser. » Es war ihr ein großer Trost.«
Nightingale wandte sich an den Pfleger. » Hätten Sie es gerne, Darren?«
» Oh, das ist nicht möglich«, warf Mrs. Fraser rasch ein. » Es verstößt leider gegen die Prinzipien unserer Gesellschaft. Wir dürfen keinerlei Erbstücke unserer Heimbewohner annehmen. Unter keinen Umständen. Wir haben vor einigen
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