Hoellennacht
Hier herrschte Tag und Nacht reges Leben– es gab immer Leute auf der Straße und geöffnete Läden–, und wenn ihm nach Joggen zumute war, lag der Hyde Park nur ein paar Minuten entfernt. Nicht dass er dieser Tage oft Lust zum Joggen hatte. Er ging nach unten, bestellte einen Costa-Kaffee, begab sich dann zu der Garage, in der er seinen MGB abstellte, und fuhr in die Nightingale-Privatdetektei. Die lag in South Kensington, wieder in einem Haus ohne Lift, diesmal aber über einem Friseur, der ihm einen fünfzigprozentigen Preisnachlass anbot, falls er sich die Haare von einem Auszubildenden schneiden ließ.
Nightingale traf kurz nach neun Uhr ein, und seine Sekretärin saß schon hinter ihrem Schreibtisch. Jenny McLean war Mitte zwanzig, hatte kurzes, blondes Haar und blaue Augen, die Nightingale immer an Cameron Diaz erinnerten. Jenny war kleiner als die Schauspielerin– und intelligenter. Sie war ans Cheltenham Ladies’ College und dann nach Cambridge gegangen und sprach fließend Deutsch, Französisch und Japanisch. Ihre Familie besaß ein Landhaus mit fünfhundert Zimmern und zwölf Acres Land oder umgekehrt und jagte an Wochenenden Füchse und schoss Wildvögel. Nightingale hatte nicht die geringste Ahnung, warum Jenny für ihn arbeitete. Er hatte eine Anzeige in der Lokalzeitung aufgegeben, und sie war einfach von der Straße hereingekommen, ihren Lebenslauf in der Hand, und hatte ihm gesagt, sie habe schon immer für einen Privatdetektiv arbeiten wollen, sie könne tippen und kenne sich mit Microsoft Office aus. Anfangs hatte er sich gefragt, ob sie vielleicht eine Undercover-Agentin des Finanzamts war, die prüfte, ob seine Steuererklärung stimmte, aber inzwischen arbeitete sie seit über einem Jahr für ihn, und er wusste nicht, wie er ohne sie zurechtkommen sollte. Sie lächelte strahlend und nickte zur Tür seines Büros hinüber. » Mrs. Brierley ist schon da«, sagte sie.
» Kann es wohl gar nicht erwarten, die schlechten Nachrichten zu hören, hm?«, meinte Nightingale. Er mochte keine Scheidungsarbeit. Es gefiel ihm nicht, untreuen Ehemännern oder lasterhaften Ehefrauen zu folgen, und es gefiel ihm nicht, weinenden Frauen oder mit Gewalt drohenden Männern schlechte Nachrichten zu überbringen. Es gefiel ihm nicht, aber so bezahlte er seine Rechnungen, und er hatte viele Rechnungen zu bezahlen.
» Hätten Sie gerne einen Kaffee oder einen Tee, Mrs. Brierley?«, fragte er, als er sein Büro betrat.
Joan Brierley war Anfang fünfzig, eine füllige Frau mit gefärbtem, blondem Haar, zu viel Make-up und Falten um den Mund vom jahrelangen Rauchen. Sie lehnte ab und hielt ein Päckchen Benson & Hedges hoch. » Stört es Sie, wenn ich…?«, fragte sie.
Nightingale schüttelte leicht den Kopf und zeigte ihr seine Marlboros. » Ich bin ebenfalls Raucher«, sagte er.
» Viele gibt es ja nicht mehr von uns«, bemerkte sie.
» Streng genommen ist das hier mein Arbeitsplatz, und so müsste ich mir eigentlich jedes Mal, wenn ich mir eine anstecke, tausend Pfund Strafe berechnen«, sagte Nightingale. » Zum Glück stört es meine Sekretärin nicht, sonst würde sie mich vor Gericht bettelarm machen.« Er streckte die Hand aus und steckte erst ihre Zigarette an und dann seine eigene.
» Am Telefon haben Sie gesagt, Sie hätten schlechte Nachrichten«, meinte Mrs. Brierley. » Er hat mich betrogen, nicht wahr?«
» Leider ja«, antwortete Nightingale.
» Ich wusste es«, sagte sie mit zitternder Stimme. » Als Geld von unserem gemeinsamen Konto verschwunden ist, wusste ich Bescheid.«
» Ich habe die beiden gefilmt«, sagte Nightingale, » damit Sie es selbst sehen können. Ich bin ihnen zu einem Hotel gefolgt, aber er hat sie auch bei ihr zu Hause besucht, wenn ihr Mann nicht da war.«
» Sie ist verheiratet?«
Nightingale nickte.
» Warum sollte denn eine verheiratete Frau einer anderen den Mann stehlen?«, fragte Mrs. Brierley.
Das war eine Frage, auf die Nightingale keine Antwort wusste. » Ich habe seine Handyverbindungsnachweise. Er ruft sie drei- oder viermal täglich an und schickt ihr SMS .« Er schob ihr einen Stapel Fotokopien rüber. » Die Botschaften sind ziemlich eindeutig.«
Mrs. Brierley nahm sie in die Hand. » Wie haben Sie die bekommen?«
» Das ist leider ein Geschäftsgeheimnis«, antwortete er. Er hatte in fast allen Mobilfunkunternehmen Kontaktleute sitzen, die bereit waren, ihm alles zu geben, was er brauchte, natürlich zu einem entsprechenden Preis.
Sie überflog die
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