Hoellennacht
hatte mich gebeten, Sie gleich am Morgen anzurufen und zu fragen, ob Sie Interesse haben.«
» Interesse woran?«
» Entschuldigung, ich erkläre das gar nicht gut, oder? Ich habe zwei Ihrer Bücher für Sie verkauft, Mr. Nightingale, zu einem sehr guten Preis. Der betreffende Herr interessiert sich noch für einen weiteren Band, den Mr. Gosling angeblich in seiner Sammlung hat.«
» Wer ist der geheimnisvolle Käufer?«
» Ein Amerikaner«, antwortete sie. » Aus Texas. Er heißt Joshua Wainwright. Wie Ihr Vater ist er ein Sammler. Und anscheinend hat er an mehreren Auktionen teilgenommen, bei denen Ihr Vater ihn überboten hat. Nun fragte er sich, ob Sie vielleicht bereit sind, ihm zumindest eines der Bücher zu verkaufen. Für mehr, als Ihr Vater dafür bezahlt hat, natürlich.«
» Natürlich«, erwiderte Nightingale. » Welches Buch denn?«
» Es heißt Der Formicarius und ist eine Erstausgabe. Anscheinend hat Ihr Vater es einem Händler in Deutschland abgekauft.«
» Ich habe die Quittung gesehen«, sagte Nightingale. » Sicher, ich verkaufe es ihm gerne.«
» Wenn Sie einverstanden sind, wird er herfliegen, um Sie zu treffen. Er wird bar bezahlen.«
» Damit bin ich definitiv einverstanden«, sagte Nightingale. » Sagen Sie ihm, er soll mich anrufen, sobald er da ist.«
» Mr. Wainwright sagte, wenn Sie zum Verkaufen bereit seien, würde er heute Nachmittag herfliegen.«
» Sagen Sie ihm, dass ich das Buch für ihn bereithalte.«
» Und vergessen Sie bitte meine Kommission nicht, Mr. Nightingale.«
» Gott bewahre.«
Er legte den Hörer auf und wälzte sich auf den Rücken. Sein Wecker würde erst in fünfzehn Minuten klingeln, und er überlegte gerade, ob er müde genug war, um noch einmal einzudösen, als das Telefon erneut läutete. Nightingale seufzte und nahm in der Erwartung ab, dass es noch einmal Mrs. Steadman war. Aber es war Jenny.
» Jack…« Sie klang zittrig, als stünde sie kurz vor den Tränen.
» Jenny, was ist denn los?«
» Jack, ich bin zu Hause– ich bin beraubt worden. Kannst du kommen, bitte?«
» Natürlich«, sagte Nightingale. » Ich bin gleich da.«
» Sie hatten Waffen, Jack. Sie haben gesagt, dass sie mich umbringen.«
61
Jenny wohnte in der Vierzimmerwohnung einer Mews – zu modernen Wohnungen umgebauten ehemaligen Stallungen – in Chelsea, ganz in der Nähe der King’s Road. Die Straße hatte ein malerisches Kopfsteinpflaster, und vor den Fenstern hingen Blumenkästen. Vor der Haustür standen zwei Meter hohe Koniferen in zwei schweren Betonschalen. Nightingale parkte seinen MGB vor der gelben Garagentür und stieg aus. Selbst nach dem Einbruch der Immobilienpreise musste Jennys Haus noch immer fast zwei Millionen Pfund wert sein. Er hatte sie nie gefragt, ob es ihr gehörte oder ob sie es gemietet hatte, aber so oder so wusste er, dass sie es sich von dem Lohn, den er ihr zahlte, nicht hätte leisten können.
Er klingelte, und ein paar Sekunden darauf öffnete sich die Tür mit vorgelegter Sicherheitskette. Er erhaschte einen Blick auf zerzaustes Haar, und dann schloss sie die Tür, um die Kette auszuhaken. Sie trug ein dunkelgrünes Cambridge-University-Sweatshirt und eine weite Cargohose, und ihre Augen waren rot und verquollen. » Was ist passiert?«
Sie führte ihn in die Diele, schloss die Tür und verriegelte sie. » Ich bin beraubt worden, Jack. Drei Männer sind eingebrochen und haben das Tagebuch mitgenommen.«
» Mitchells Tagebuch?«
» Natürlich. Meinst du etwa, sie würden einbrechen, um meinen verdammten Terminkalender zu klauen?«
» Große Männer, schwarze Anzüge, Sonnenbrillen?«
Jenny nickte. » Weißt du, wer das war?«
» Mitchells Leibwächter, seine Beschützer– das ganze Haus war voll von ihnen. Möchte bloß wissen, wie die auf dich kommen. Jenny, haben sie dir etwas getan?«
Sie ging ins Wohnzimmer und ließ sich auf ein geblümtes Sofa fallen. » Nein, aber sie haben mir einen Riesenschreck eingejagt.«
Nightingale setzte sich ihr gegenüber. » Was ist passiert?«
» Ich wollte zur Arbeit gehen«, erzählte sie. » Ich habe die Haustür aufgemacht, und da standen sie. Sie haben mich einfach zurück ins Haus geschoben. Einer hat mir die Hand über den Mund gelegt und mich hier reingebracht, während die anderen beiden das Tagebuch gesucht haben– nicht dass sie viel zu suchen brauchten. Es war in meiner Handtasche.«
» Haben sie irgendwas gesagt?«
» Nicht solange sie das Tagebuch suchten. Aber als sie es
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