Hoellennacht
bestimmt, Jack. Da waren Überwachungskameras, hast du das vergessen?«
» Vielleicht überprüfen sie die nicht, wenn sie sich sicher sind, dass es Selbstmord war.« Er leerte sein Glas. » Noch einen Whisky, Darling«, rief er der Barkeeperin zu.
Jenny legte ihm die Hand auf den Arm. » Jack, komm schon, du brauchst das nicht zu tun.«
» Was brauche ich nicht zu tun?«
» So viel zu trinken. Das ändert doch nichts.«
» Es macht, dass ich mich besser fühle, und das ist es, was zählt.«
» Du hättest bleiben und mit der Polizei reden sollen«, sagte Jenny. » Sie hätten dir geglaubt.«
» Das kann nur jemand behaupten, der nie mit den Bullen zu tun hatte«, maulte Nightingale. » Polizisten machen Fehler wie jeder andere auch, und wie schon gesagt, bei Chalmers stehe ich bereits auf der Abschussliste.«
» Du bist kein Mörder, Jack. Du könntest niemanden umbringen, nicht kaltblütig.«
» Ich war in der CO 19, Jenny. Ich hatte eine Waffe. Ich bin dafür ausgebildet worden, Menschen zu töten.«
» Es ist ein Riesenunterschied, ob man als bewaffneter Polizist mit der Pistole schießt oder ob man jemanden von einem Balkon stößt. Die Polizei würde das begreifen.«
» Vielleicht«, sagte Nightingale.
» Was ist los, Jack?«
Die Barkeeperin stellte ein frisches Glas Whisky vor Nightingale, und er nickte ihr dankend zu. » Ich weiß nicht. Vielleicht werde ich einfach nur verrückt.«
» Du bist nicht verrückt«, erwiderte sie. » Vielleicht ein bisschen verwirrt. Und wenn du einen doppelten Whisky nach dem anderen kippst, macht das die Sache nicht besser.«
» Mein Vater war verrückt«, sagte Nightingale. » Ainsley Gosling hat behauptet, er habe einen Vertrag mit dem Teufel geschlossen, und er hat sich den Kopf mit einer Schrotflinte weggeschossen. Meine Mutter, meine leibliche Mutter, hat den größten Teil ihres Lebens in einer Anstalt verbracht und sich beim Essen die Pulsadern aufgeschnitten. Ich bin also das Kind zweier Menschen, die eindeutig gestört waren. Wie steht denn bei solchen Genen meine Chance, normal zu sein? Verdammt schlecht, würde ich sagen.«
» Du bist einfach nur total gestresst, das ist alles.«
» Die Leute sagen mir immer wieder, dass der Teufel mich holen wird, Jenny.«
» Das ist eine Redensart. Das sagt man einfach so. Die Leute meinen das nicht wortwörtlich.«
Nightingale schüttelte den Kopf. » Nein, sie sagen es zwar, aber in Wirklichkeit sind das gar nicht sie selbst. Es ist, als würde jemand sie benutzen, um mir die Botschaft zu übermitteln. Mein Onkel hat die Worte mit Blut in seinem Badezimmer geschrieben, Barry O’Brien genauso, und damals in dem chinesischen Restaurant standen sie im Glückskeks.« Seine Stimme überschlug sich, und er hieb sein Glas auf den Tisch.
» Das liegt daran, dass Underwood diese Worte vor seinem Tod zu dir gesagt hat«, meinte Jenny.
» Mein Unterbewusstsein spielt mir einen Streich. Das ist es, was du wirklich glaubst?«
» Was wäre denn die Alternative, Jack? Botschaften aus dem Grab? Geister, die sich der Lebenden bedienen, um dir etwas zu sagen? Der Teufel, der sein Spiel mit dir treibt?«
Die Barkeeperin blickte zu ihnen herüber, und Nightingale zeigte auf sein leeres Glas. » Allmählich glaube ich, dass Chalmers vielleicht recht hat«, sagte er. » Vielleicht bin es wirklich ich.«
» Was meinst du damit?«
» Ich bin zu Barry O’Brien gefahren, und der ist tot. Ich habe meinen Onkel und meine Tante besucht, und beide sind tot. Vielleicht…« Er senkte den Kopf.
» Was denn, Jack? Vielleicht was?«
Nightingale seufzte. » Vielleicht habe ich sie wirklich getötet«, flüsterte er. » Vielleicht habe ich sie getötet und es dann verdrängt. Vielleicht habe ich vor zwei Jahren Underwood getötet. Und vielleicht habe ich Harrison vom Balkon gestoßen und verdränge das jetzt auch. Hysterische Amnesie. Oder mein Unterbewusstsein weigert sich einfach, zuzugeben, was passiert ist. Betrachte es doch einmal aus Chalmers’ Blickwinkel. Barry O’Brien hat Robbie getötet, also wollte ich seinen Tod. George Harrison hat meine Eltern getötet, also wollte ich auch seinen Tod. Mein Onkel und meine Tante hatten mich belogen, deshalb wollte ich ihnen etwas antun. Ich habe das Motiv, ich hatte die Gelegenheit, und ich war an allen drei Tatorten zugegen. Und es hat vor zwei Jahren angefangen, als Simon Underwood aus dem Fenster geflogen ist.«
» Nur dass du es nicht getan hast, Jack. Du hast nichts davon
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