Hoellenpforte
Telefon. Schaffst du das, Scarly? Abzuwarten, bis du hier bist – und bis dahin nicht allzu schlecht von mir zu denken?«
»Natürlich.« Was hätte sie sonst sagen sollen?
»Ich habe dir einen Platz in der Business Class gebucht. Am Flughafen wird sich jemand um dich kümmern. Nimm genügend Lesestoff mit. Es ist ein langer Flug.«
Er legte auf. Scarlett stand mit dem Hörer in der Hand da. Sie war gereizt. Das war einfach nicht fair. Man verfrachtete sie in ein Flugzeug und flog sie nach Hongkong, als wäre sie ein Luftpostpaket. Sie war fünfzehn Jahre alt. Da sollte sie doch wohl etwas Kontrolle über ihr eigenes Leben haben, oder?
Das Taxi kam mittags. Scarletts Flug startete um halb vier in Heathrow. Mrs Murdoch half ihr, die Koffer nach draußen zu tragen und im Wagen zu verstauen, und stieg dann mit ihr ein. Die Haushälterin würde sie zum Flughafen bringen und dann allein nach Hause zurückkehren. Es war ein weiterer sonniger Tag, aber das Wetter passte nicht zu Scarletts Laune. Beim Losfahren sah sie sich noch einmal um und betrachtete das Haus, bis es nicht mehr zu sehen war.
Natürlich wusste sie, dass sie nur ein paar Wochen fort sein würde, aber sie hatte trotzdem ein komisches Gefühl und fragte sich, ob sie das Haus wohl jemals wiedersehen würde.
Sie erreichten das Ende der Straße und bogen nach links in die Half Moon Street ein. Und da passierte es. Ein Autounfall. Scarlett bekam nicht alles mit und konnte sich erst später zusammenreimen, was passiert war. Ein Auto war auf sie zugefahren – es war von der Hauptstraße gekommen – und ein zweiter Wagen, ein BMW, kam plötzlich von der Seite. Scarlett hörte die Reifen quietschen und dann das Krachen des Zusammenstoßes. Sie schaute gerade rechtzeitig auf, um die Autos voneinander abprallen zu sehen. Eines davon war von der Straße abgekommen und in eine Einfahrt gerutscht. Es saßen mindestens drei Leute in dem Wagen.
»Londoner Verkehr!«, stieß der Taxifahrer verächtlich aus und bog um die Kurve.
Scarlett drehte sich um. Durch das Heckfenster sah sie die zerknitterte Haube eines der Autos, aufsteigenden Dampf, Glassplitter auf der Straße. Ein Bus war zum Halten gezwungen worden und der Fahrer stieg gerade aus, vermutlich um nachzusehen, ob er helfen konnte. Dann war nichts mehr von dem Unfall zu sehen. Scarlett nahm an, dass es nur ein Zufall gewesen war. Es konnte nichts bedeuten.
Aber dennoch beunruhigte der Autounfall sie. Er erinnerte sie an den Moment vor zwei Jahren, als sie ganz in der Nähe beinahe getötet worden wäre. Und das lenkte ihre Gedanken auf den Mann, der Kontakt mit Aidan aufgenommen hatte und sich mit ihr in dem Restaurant hatte treffen wollen, das in die Luft gesprengt worden war, bevor sie dort ankam. Scarlett rutschte tiefer in ihren Sitz. Keine Kontrolle über sein Leben zu haben war ein grässliches Gefühl. Mrs Murdoch starrte ausdruckslos aus dem Fenster.
Am Flughafen trennten sie sich. Scarlett flog als alleinreisendes Kind – die Fluglinie nannte so etwas »Skyflyer Solo«. Bevor man sie wegführte, musste sie die Demütigung hinnehmen, dass man ihr ein Plastikschild mit ihrem Namen um den Hals hängte. Sie verabschiedete sich mit einer verlegenen Umarmung von Mrs Murdoch. Dann nahm sie ihr Handgepäck und steuerte das Gate an.
Sie waren so dicht dran gewesen. Keiner von ihnen konnte fassen, wie dicht.
Matt, Richard und Jamie waren an diesem Morgen auf demselben Flughafen gelandet. Ein uniformierter Chauffeur hatte sie schon erwartet und kurze Zeit später saßen sie in einem bequemen neuen Jaguar und wurden in ihr Hotel gefahren. Richard döste auf dem Beifahrersitz. Er hatte fast während des gesamten Fluges an dem Tagebuch gearbeitet und kaum geschlafen. Jamie sah neugierig aus dem Fenster, um einen ersten Eindruck von London zu bekommen. Matt merkte, wie enttäuscht er war. Sie fuhren durch eine Wüste nichtssagender Lagerhäuser und wenig einladender Hotels – die typischen Bausünden, die man immer rund um Flughäfen findet – Matt hätte ihm am liebsten gesagt, dass das nicht wirklich London war.
Aber zwanzig Minuten später bogen sie von der Autobahn ab und kamen in die Stadt. Sie fuhren am Museum für Naturgeschichte in Kensington vorbei – es war nach Matts letztem Besuch immer noch wegen Renovierungsarbeiten geschlossen – und dann am Victoria-und-Albert-Museum, Harrods und Hyde Park Corner.
Jamie starrte mit offenem Mund hinaus. Er hatte einen Großteil seines Lebens in
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