Hoellenpforte
gerade ist sie nicht hier.«
»Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«
»Leider nicht.«
Wir gingen zusammen den Korridor hinunter, was merkwürdig war, weil ich mich nicht daran erinnern konnte, dass wir losgegangen waren. Wir betraten einen zweiten Raum, einen Teil der Bibliothek, das war jetzt eindeutig. Ich hatte noch nie so viele Bücher gesehen. Auf beiden Seiten standen sie wie Soldaten, Schulter an Schulter, in hölzernen Regalen, die sich so weit in die Ferne erstreckten, dass es aussah, als würden sie alle an einem Punkt zusammenlaufen – das musste eine optische Täuschung sein. Die Regale begannen auf dem Fußboden und erstreckten sich bis zur Decke, vielleicht hundert Reihen in jedem Block. Die Luft war trocken und roch nach Papier. Es musste eine Million Bücher in diesem Raum geben, und jedes von ihnen war so dick wie ein Lexikon.
»Lesen Sie gern?«, fragte ich.
»Ich habe keine Zeit, die Bücher zu lesen. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, sie zu hüten.«
»Wie viele Leute arbeiten hier?«
»Nur ich.«
»Wer hat die Bibliothek gebaut?«
»Das weiß ich nicht. Sie war schon da, als ich kam.« »Und was sind das alles für Bücher? Haben Sie eine Krimiabteilung? Und Liebesromane?«
»Nein, Matt.« Die Vorstellung brachte den Bibliothekar zum Lächeln. »Obwohl du in diesen Bänden sehr viel Kriminelles und sehr viel Liebe finden würdest. Aber alle Bücher in dieser Bibliothek sind Biografien.«
»Von wem?«
»Von allen Menschen, die je gelebt haben, und auch einer ganzen Menge, die noch nicht geboren sind. Ihr gesamtes Leben ist hier verzeichnet. Ihre Anfänge, ihre Ehen, ihre guten und ihre schlechten Tage und natürlich auch ihr Tod. Eben alles, was sie in ihrem Leben getan haben.«
Wir blieben vor einer Tür stehen. Ins Holz war ein Muster eingeschnitzt. Ein fünfzackiger Stern.
»Das Zeichen kenne ich«, sagte ich.
»Natürlich tust du das.«
»Wohin führt diese Tür?«
»Sie führt überall dorthin, wohin du willst.«
»Wie die Tür in St. Meredith!«, stellte ich fest.
»Sie funktioniert so ähnlich. Aber dort hast du nur vierundzwanzig mögliche Ziele. In deiner Welt gibt es fünfundzwanzig Türen, die alle miteinander verbunden sind, von denen dich aber keine hierher bringen kann. Diese Bibliothek hat im Gegensatz dazu eine Tür in jedem Raum und ich habe absolut keine Ahnung, wie viele Räume es gibt, ich wüsste nicht einmal, wie ich sie zählen sollte.« Der Bibliothekar machte eine einladende Handbewegung. »Nach dir.«
»Wohin gehen wir?«
»Nun, da du hier bist, könnten wir doch einen Blick auf dein Leben werfen. Bist du gar nicht neugierig?«
»Eigentlich nicht.«
»Mal sehen…«
Wir gingen durch die Tür, und soweit es mich betraf, hätten wir zwanzig Kilometer weiter wieder herauskommen können. Wir landeten in einem Raum, der ganz anders aussah als der, den wir gerade verlassen hatten. Hier waren überall große Fenster, eingerahmt von Stahlstreben. Vielleicht war dies eines der Flughafengebäude, die ich gesehen hatte. Hier standen die Bücher auf Metallregalen, jedes von ihnen mit einem schmalen Gang, auf dem man laufen konnte, und einer runden Plattform, die hoch- und runterfuhr wie ein Fahrstuhl.
Wir fuhren sechs Ebenen hinauf und schoben uns den schmalen Gang entlang, ein Geländer auf der einen und die Bücher auf der anderen Seite.
»Matt Freeman… Matt Freeman…« Der Bibliothekar murmelte im Gehen meinen Namen vor sich hin.
»Sind sie alphabetisch geordnet?«, fragte ich. Die Bände sahen alle gleich aus, nur waren einige dicker als andere. Ich konnte keine Namen oder Titel darauf sehen.
»Nein, es ist ein bisschen komplizierter.«
Ich schaute zurück zu der Tür, durch die wir gekommen waren. »Wie funktionieren die Türen?«, fragte ich.
»Wie meinst du das?«
»Woher wissen Sie, wohin sie führen?«
Er blieb stehen und sah mich an. »Wenn du einfach nur hindurchgehst, wirst du irgendwo landen«, sagte er. »Aber wenn du genau weißt, wohin du willst, dann führen sie dich auch dahin.«
»Kann jeder sie benutzen?«
»Die Türen in deiner Welt wurden nur für euch fünf eingerichtet.«
»Und was ist mit Richard?«
»Jeder von euch kann einen Begleiter mitnehmen, wenn er will. Allerdings müsst ihr entscheiden, wohin ihr wollt, bevor ihr durch die Tür geht, sonst kann es passieren, dass ihr über den ganzen Planeten verstreut endet.«
Wir gingen weiter, aber nach ein paar Minuten blieb der Bibliothekar plötzlich stehen, griff
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