Hoellenprinz
habe. Damit könnte ich nicht leben.«
»Wir müssen auf alles gefasst sein. Aber du wirst das schaffen.«
Frau Volkmann bog in den kleinen Feldweg ein. Hier, genau hier in dieser Kurve hatten Daniel und Caro sich geküsst. Das wusste sie noch, weil sie wegen der Kurve küssend und lachend auf sie gerutscht waren. Sie hörte ihr Lachen â sein Lachen. Mein Gott, waren die beiden glücklich gewesen! Ela hatte kurz das Gefühl, sich übergeben zu müssen, und hielt die Hand vor ihren Mund.
»Alles okay?«, fragte die Kommissarin.
Ela nickte nur und konzentrierte sich darauf, ihre Ãbelkeit zu unterdrücken.
Am Ende des Weges hielt die Kommissarin an und machte den Motor aus. »Ich würde vorschlagen, du läufst jetzt erst einmal über das Gelände und lässt es auf dich wirken. Wenn du mich brauchst oder dir etwas einfällt â ich bleibe immer in deiner Nähe.« Sie schaute sie aufmunternd an, als würde sie Ela lediglich in eine Art Schultest schicken.
Ela nickte. »Okay.« Sie stieg aus und ging zwischen den Hecken durch auf den Zeltplatz. Hier hatte jemand aufgeräumt. Alle Spuren waren beseitigt, die Mülleimer geleert und auch auf der riesigen Rasenfläche war nichts mehr zu sehen. An der Feuerstelle blieb sie stehen und blickte sich um. Erinnerungen blitzten vor ihrem inneren Auge auf. Dort hatten Caro und Daniel gesessen, während sie hier hinten mit Mirko getanzt hatte. Sie schloss die Augen, hörte die Musik, das Knistern des Feuers, roch den Rauch und Mirko. Er hatte gut gerochen, es war schön gewesen, seine Hände auf ihrem Rücken zu spüren, er hatte sie festgehalten. Gelächter im Hintergrund und ihre Gedanken. Die waren am lautesten gewesen, ihre verdammten ScheiÃgedanken, an Daniel, immer nur Danieldanieldaniel! Sie öffnete die Augen wieder und suchte die Kommissarin. Die hatte sich auf eine Bank am Lagerfeuer gesetzt und stocherte mit einem Stock in der Asche herum.
»Es kommt nichts«, sagte Ela. »Gar nichts.«
»Lass dir Zeit. Uns drängt nichts.«
Ela ging zu dem Unterstand, in dem das Buffet aufgebaut gewesen war. Er lag auf dem Weg in den Wald, zum Ort des Verbrechens. Hier hatte sie zusammen mit Mirko ihren HeiÃhunger auf SüÃes gestillt. Sie hatten viel gelacht, weil sie sich gegenseitig die Tortenstücke in den Mund gesteckt hatten, ein kurzer, unbeschwerter Moment. Sie schloss wieder die Augen, schmeckte die Torte von Frau Hofmann, der Frau des Bürgermeisters, deren Sohn dieses Jahr auch Abi gemacht hatte. Marzipan. Und dann waren da noch Sophie und Luna gewesen, die sich in der Nähe unterhalten hatten. Ela lehnte sich gegen den Holztisch und versuchte, sich zu konzentrieren.
Ich bin satt und Mirko futtert sich weiter alleine durch die Kuchentheke. Ich beobachte Luna und Sophie. Sie sitzen auf der Bank vor dem Unterstand, die Köpfe zusammengesteckt. Luna redet, Sophie hört zu. Mir ist vom Alkohol schwindelig. Dann kommt der Typ mit dem Pferdeschwanz. Er ist total besoffen, labert irgendwas und geht weiter in den Wald. Kotzgeräusche.
»Ich muss gleich nach Hause«, sagt Mirko mit vollem Mund.
Panik! Ich will nicht, dass er geht.
»Nein! Noch nicht, ist doch noch so früh!«
»Meine Oma wird morgen 70. Sie wohnt im Schwarzwald und ich soll die Familie dorthin fahren. Hab doch gerade ganz frisch meinen Führerschein.«
Ich klammere mich an Mirkos Hals. Er nimmt meine Arme von seinen Schultern und mein Gesicht in seine Hände. Er schaut mich mit seinen warmen Augen lächelnd an und ich denke: Jetzt küsst er mich. Ich will den Kopf wegdrehen, weil es sich falsch anfühlt. Mirko ist mein Rettungsanker. Ohne ihn gehe ich unter. Aber ich bin nicht in ihn verliebt. Doch mein Kopf bleibt still in seinen Händen und er legt seine Lippen auf meine Lippen und küsst mich. Für einen kurzen Moment vergesse ich alles. Es gibt nicht mal mehr Mirko und mich, es gibt nur diesen Kuss. Ich verachte mich dafür, weil ich das Gefühl habe, Daniel zu betrügen und Mirko zu belügen. Deshalb nehme ich nach dem Kuss die erstbeste Flasche, die am Rande der Kuchentheke steht, und spüle ihn mit groÃen Schlucken runter. Es ist Wodka und er tut gut. Wir gehen zum Feuer, setzen uns. Mirko kommt noch mit, obwohl er gehen wollte, das freut mich â sogar sehr. Ich will nicht, dass er geht. Doch plötzlich ist er weg. Und Caro auch.
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