Hoellenprinz
schweigend im Auto gesessen, ohne dass es sich irgendwie komisch angefühlt hätte. Das kannte sie bisher nur mit ihren Eltern â und mit Daniel.
Nach den ersten beiden Löffeln konnte sie schon nicht mehr weiteressen.
Es klingelte. Wer konnte das sein? Sie lief zur Haustür, öffnete sie und erblickte Daniels Mutter. Ela musste den Impuls unterdrücken, die Tür vor Schreck einfach wieder zuzuknallen. Was kam jetzt? Vorwürfe? Schreie? Aber nichts dergleichen. Beate stand weinend vor ihr, breitete die Arme aus und wartete darauf, dass Ela die Einladung annahm. Doch Ela blieb stocksteif stehen, hielt sich am Türgriff fest und war bemüht, passende Worte für diese absurde Situation zu finden. Was sagte eine Mörderin zu der Mutter des Opfers, die sie in die Arme schlieÃen wollte?
Beate lieà sie wieder sinken und fragte: »Wie geht es dir?«
Sie schien keine Ahnung über den Stand der Ermittlungen zu haben, sonst stünde sie jetzt nicht so ruhig hier.
»Schlecht«, antwortete Ela wahrheitsgemäÃ.
»Ja. Es ist ein Albtraum, Ela, bald werden wir aufwachen und dann ist alles wieder gut. So denke ich manchmal. Ich kann nicht schlafen, nicht mal mit Tabletten.« Sie sprach nicht weiter und Ela fragte sich, was sie von ihr wollte, warum sie gekommen war. Eigentlich müsste sie ihr anbieten, hereinzukommen und sich mit ihr zu unterhalten.
»Ich brauche deine Hilfe«, unterbrach Beate Elas fieberhafte Suche nach einem angemessenen Verhalten.
»Ja?«
»Die vom Beerdigungsinstitut wollen ein paar Sachen. Unterlagen, weiÃt du. Und ich ⦠ich kann nicht. Ich kann nicht in sein Zimmer. Hab es versucht, aber es ist, als wär eine Wand in der Tür. Bitte geh du, bitte. Daniel hat einen Ordner, da ist alles drin. Ich schaff das nicht.« Sie schaute Ela mit ihren geröteten Augen flehend an.
»Natürlich. Ich komme mit rüber«, sagte Ela, zog die Tür hinter sich zu und begleitete Beate ins Nachbarhaus. Nur jetzt nicht nachdenken, dachte sie. Ich werde in dieses Zimmer gehen, den Ordner rausholen, und das warâs. Das kann nicht so schwer sein. Trotzdem war ihr mulmig dabei zumute.
»Ich warte unten. Es ist ein grauer Aktenordner, im Regal, unterstes Fach. Und es steht >Wichtig< drauf, soweit ich mich erinnere.«
Ela ging die Stufen nach oben. Das Haus war genau das gleiche wie ihres, nur spiegelverkehrt. Daniel hatte das Zimmer, das bei ihnen das Elternschlafzimmer ist. Als Kinder hatten sie das bedauert, weil sie sich so gerne hätten zuwinken wollen. Sein Fenster ging aber in die andere Richtung.
Die Tür war geschlossen. Ein Schild warnte vor dem bissigen Hund und darunter hing eine Postkarte vom Ayers Rock. Da wollte er immer hin, nach Australien, wie oft hatte er davon geschwärmt. Sie nahm den Türgriff in die Hand und ihr Herz pochte so stark, dass sie ihren Puls am kalten Metall spürte. Der Geruch, der ihr nach dem Ãffnen entgegenkam, war unerträglich vertraut und löste sofort Tausende Erinnerungen aus. Daniel ist nicht tot, dachte sie, als sie sich im Zimmer umsah. Das kann gar nicht sein. Dort hängt noch seine Sporttasche und das Bett ist ungemacht. Er wird gleich kommen und seine Musik volle Pulle anstellen, wie immer. Sie drehte sich zur Stereoanlage, die hinter der Tür stand. Hier stimmte etwas nicht. Daniels CDs und DVDs lagen kreuz und quer auf dem Boden verteilt, zum Teil aus den Hüllen gerissen, nackt auf dem Parkett. So wäre er auf keinen Fall mit ihnen umgegangen. Er liebte seine Sammlung über alles. Und jedes Teil hatte einen geordneten Platz in seinem System. Ela fragte sich, ob die Polizei dieses Chaos verursacht hatte. Aber warum? Sie bekam Beklemmungen. Jemand war in diesem Zimmer gewesen und hatte sich einen Einblick in Daniels Leben verschafft oder zumindest zu verschaffen versucht, wie es Daniel mit Sicherheit nicht gefallen hätte. Auch Beate traute sie ein solches Durcheinander nicht zu. Sie hatte zwar häufig ihrem Sohn hinterherspioniert, aber immer nur kleine, zufällige Spuren hinterlassen. AuÃerdem hatte ihr Ela die Hemmschwelle, das Zimmer zu betreten, abgenommen. Ela konnte sich nicht gegen das Gefühl wehren, den Eindringling zu spüren, als hätte er Duftmarken hinterlassen und damit das Zimmer entwürdigt. Sie bekam keine Luft mehr, nahm schnell den Ordner aus dem Regal und flüchtete die Treppe nach unten. Beate saà im
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