Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
natürlich.«
Berger sah
sich kurz zu seinen Kollegen um, die noch immer stumm starrend hinter ihnen standen,
und wies auf die Tür.
»Kommen
Sie, lassen Sie uns hinausgehen. Dort können wir uns in Ruhe über Herrn Ahrens unterhalten.«
Sie traten
vor die Tür, gingen noch ein paar Schritte und blieben schließlich neben einer Sitzgruppe
stehen, nachdem Lenz das Angebot, sich zu setzen, abgelehnt hatte.
»Es tut
uns allen hier wirklich leid, dass wir die Sache mit Herrn Ahrens nicht verhindern
konnten. Aber es ging vorhin hier auf der Station drunter und drüber.«
Die beiden
Polizisten sahen sich verwundert an.
»Moment,
Moment! Wovon sprechen Sie, Herr Dr. Berger?«, wollte Lenz wissen.
»Von Herrn
Ahrens. Bernd Ahrens. Dem Mann, wegen dem Sie hier sind.«
»Es stimmt,
dass wir wegen ihm hier sind. Allerdings haben wir keine Ahnung, was genau Sie nicht
verhindern konnten.«
Nun sah
Berger irritiert zwischen den Beamten hin und her.
»Herr Ahrens
ist …, nun ja, wie soll ich sagen …, er ist … geflohen. Eine Schwester sollte ihn
im Auge behalten, dann kam aber leider ein schwerverletzter Motorradfahrer dazwischen,
bei dem wir ihre Hilfe brauchten. Und in dieser Zeit, also vielleicht in gerade
einmal fünf Minuten, hat Herr Ahrens die Notaufnahme verlassen.«
Er senkte
den Kopf.
»Wir haben
natürlich nach ihm gesucht, ihn aber leider nicht finden können. Allerdings hätten
wir auch keine Handhabe gehabt, ihn aufzuhalten, wenn er hätte gehen wollen. Er
ist ein freier Mensch.«
»Der seinem
Leben ein Ende setzen wollte«, fügte Hain hinzu.
»Das kann
sein, ja. Aber Sie wissen vermutlich selbst, wie schwierig es ist, einen suizidalen
Menschen daran zu hindern, sich das Leben zu nehmen. Und mit Repressalien kommt
man in derartigen Fällen ohnehin nicht weiter.«
»Haben Sie
ihn gesehen?«
»Ja, kurz.
Er sah gefasst und ruhig aus, was aber nichts weiter heißen muss. Natürlich gibt
uns die Tatsache, dass er das Klinikum verlassen hat, zu denken. Allerdings muss
ich Sie darauf hinweisen, dass er die Sache mit der Eisenbahn als Unfall dargestellt
hat.«
»Wie wäre
es denn weitergegangen mit ihm?«
Dr. Berger
dachte ein paar Sekunden nach.
»Seine Verletzungen,
also die körperlichen, waren wohl eher oberflächlicher Natur. Normalerweise hätten
wir ihn eine Nacht zur Beobachtung hierbehalten, um eventuelle Beeinträchtigungen
im Schädel-Hirn-Bereich ausschließen zu können; dann wäre ihm angeboten worden,
ihn ins Ludwig-Noll-Krankenhaus zu verlegen.«
»Also in
die Psychiatrie?«
»Genau,
in die Psychiatrie.«
»Und wenn
er das abgelehnt hätte?«
»Dann wäre
er entweder wegen akuter Selbstgefährdung zwangseingewiesen worden, was ich mir
in seinem Fall nicht vorstellen kann, oder er wäre entlassen worden.«
»Wieso können
Sie sich das nicht vorstellen?«
»Weil er
ganz klar und sehr präzise kundgetan hat, dass es sich nicht um einen Selbstmordversuch
gehandelt hat. Wie soll man mit einem Menschen umgehen, der steif und fest behauptet,
einen Unfall erlitten zu haben? Ihn gegen seinen Willen in die Psychiatrie einweisen
lassen?«
»Das ist
eine schwierige Situation, da gebe ich Ihnen recht.«
Hain erläuterte
dem Mediziner kurz, wie sich Ahrens’ Leben seit dem Weihnachtsabend des letzten
Jahres entwickelt hatte.
»Das lässt
die Sache natürlich in einem etwas anderen Licht erscheinen. Allerdings bin ich
kein Psychiater und maße mir deshalb auch kein Urteil über Herrn Ahrens an.«
In den nächsten
Sekunden schwiegen alle drei.
»Gut«, fasste
Lenz schließlich zusammen, »er ist weg und wir wissen nicht, wo er hin sein könnte.
Also gibt es hier für uns nichts mehr zu tun, und wir können uns von Ihnen verabschieden.
Haben Sie bald Feierabend?«
»Das wäre
schön, ist aber leider nicht so. Wenn ich Glück habe, komme ich im Verlauf der Nacht
zu ein paar Minuten Schlaf, und morgen früh geht wieder der normale Dienst auf der
Station los.«
»Das tut
mir …«, wollte Lenz sich empathisch zeigen, wurde jedoch von einer Krankenschwester
unterbrochen, die in der Tür zur Notaufnahme erschienen war.
»Ich muss
dich leider stören«, sprach sie Dr. Berger direkt an, »aber wir kriegen gerade eine
Frau mit einer Schussverletzung rein, um die du dich kümmern müsstest. Der Chef
ist nämlich erst in einer Stunde wieder zurück.«
»Noch eine
Schussverletzung? Die eine ist doch noch im OP.«
»Ja. Hat
offenbar nichts mit der ersten zu tun. Kommst du?«
Der
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