Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
der Herr da auferlegt hat. Eine sehr, sehr
schwere Prüfung.«
Zimmermann
zog sich einen Stuhl heran, ließ sich darauf nieder und sah zur Tür, wo weitere
Menschen in den kleinen Saal strömten.
»Siehst
du, Bernd, diese ganzen Menschen sind unter anderem hier, um dir, dir allein, in
dieser schweren Zeit beizustehen. Jeder einzelne dieser Menschen würde dich auf
seine Schultern laden und zu sich nach Hause tragen, wenn es dir helfen würde, den
Kummer um den Verlust deiner Lieben erträglicher zu machen. Aber das hat der Herr
nicht vorgesehen. Der Herr will, dass wir uns den Prüfungen, die er uns gesandt
hat, stellen. Dass wir aushalten, was er von uns verlangt. Wir verstehen nicht,
was er sich dabei denkt, aber wir wissen, dass es richtig ist. Es ist auch richtig,
wenn es uns Leid auferlegt.«
Bernd Ahrens
sah seinem Freund lange ins Gesicht.
»Ich will
nicht klagen, Konrad, wirklich nicht. Aber es ist schon schwer auszuhalten, dieses
Leid, das er mir auferlegt hat.«
Ein paar
der Besucher hatten Ahrens im Vorbeigehen eine Hand auf die Schulter gelegt oder
über seinen Kopf gestreichelt.
»Siehst
du? Alle sind hier, um dich zu unterstützen und aufzurichten.«
»Meinst
du nicht, dass sie eher gekommen sind, um dem Referenten zuzuhören?«
»Das natürlich
auch«, gab Zimmermann zu, »aber in der Hauptsache sind sie wegen dir hier.«
Im Hintergrund
wurde leise gemurmelt, und kurz darauf betrat ein etwa 55-jähriger Mann mit schlohweißen
Haaren und strengem Blick den Raum. Nachdem er zwei Männern die Hand geschüttelt
hatte, schritt er direkt auf das etwa drei Meter vor den Stühlen aufgestellte Rednerpult
zu und stellte seine schwarze Aktentasche daneben ab. Es dauerte etwa weitere fünf
Minuten, bis er seine Unterlagen geordnet hatte und jeder der im Saal Anwesenden
auf einem Stuhl Platz genommen hatte.
»Guten Abend«,
begann der Redner nach einem kurzen Schluck aus dem Wasserglas, das er zuvor aufgestellt
und befüllt hatte.
»Mein Name
ist Volker Weidler, und ich komme aus Gießen zu Ihnen.«
Er sah sich
in seinem Publikum um und nickte dabei immer wieder.
»Manche
von Ihnen habe ich schon einmal gesehen, andere lerne ich heute erst kennen. Trotzdem
begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu meinem heutigen Vortrag.«
Ein weiterer
Schluck Wasser.
»Sicher
hat es sich schon bei vielen von Ihnen herumgesprochen, was dieser Weidler aus Gießen
für einer ist. Für alle anderen jetzt eine Kurzfassung meiner Biografie. Ich wurde
vor 54 Jahren in Marburg geboren, habe nach dem Abitur Biologie und Sport auf Lehramt
studiert und war bis vor etwa drei Jahren an einer Schule in Gießen angestellt.
Einer christlich orientierten Schule. Dann wurde mir von Teilen der Elternschaft
meiner Schüler unterstellt, dass mein Biologieunterricht sich nicht am Lehrplan
orientieren würde, was zu einem Aufschrei in den Medien und natürlich auch im Kultusministerium
zu Kontroversen führte. Kurz und gut, ich verlor meinen Arbeitsplatz und habe bis
heute keine neue Stelle als Lehrer gefunden.«
Ein leises
Raunen ging durch den Saal.
»Ja, das
ist eine Sache, wenn man von heute auf morgen seinen Job verliert, meine Damen und
Herren. Aber in meinem Fall hat es dazu beigetragen, dass mein Leben sich von Grund
auf zum Besseren verändert hat.«
Weidler
ließ seinen Blick über die Zuhörer schweifen.
»Es hat
dazu beigetragen, dass ich Sie alle heute kennenlernen kann, was sonst vermutlich
nicht geschehen wäre. Und es hat dazu beigetragen, dass mein Vertrauen in die Führungskraft
des Herrn ins Unermessliche gewachsen ist, denn er hat mir diesen Weg aufgezeigt
und ermöglicht. Er hat in seiner unendlichen Güte dafür gesorgt, dass ich
meine neue Berufung gefunden habe und nun vor Ihnen spreche.«
Es erklang
ein erstes, zaghaftes Klatschen aus den hinteren Reihen.
»Aber vielleicht
sollte ich Ihnen zunächst ein paar der Hintergründe erklären, die zu meinem Hinauswurf
als Lehrer geführt haben, meine Damen und Herren, denn ich finde, Sie haben das
Recht, darüber informiert zu sein, wie in diesem Land mit Menschen umgegangen wird,
die zu Ihren Überzeugungen stehen und diese auch leben.«
Ein Nippen
am Wasserglas.
»Ich habe
27 Jahre als Lehrer an der gleichen Privatschule unterrichtet; Biologie und Sport
waren meine Fächer, wie ich schon erwähnt habe. In all diesen Jahren habe ich versucht,
meinen Schülern mehr auf ihren Lebensweg mitzugeben, als es der reine Lehrplan vorgesehen
hat. Zum Beispiel war es mir
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