Höllenritt: Ein deutscher Hells Angel packt aus (German Edition)
einem sogenannten Rechtsgespräch getroffen und nach Möglichkeiten für ein schnelles Prozessende gesucht. Und das kam auch ganz schnell – gleich am nächsten Tag. Das Gericht in Hannover ging auf den geforderten Deal ein, und der Richter sprach am zweiten Prozesstag das Urteil: Elf der vierzehn Angeklagten wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt, drei erhielten Haftstrafen. Das höchste Urteil, das sich der Rädelsführer der Aktion einhandelte, lag bei zwei Jahren und zehn Monaten Knast.
Auch die Anwälte einiger meiner ehemaligen Brüder schienen den Prozess nach diesem Muster durchziehen zu wollen. Gleich zu Prozessbeginn drohten sie mit einer Reihe von Anträgen. So hätten sie die Verhandlung enorm in die Länge ziehen können. Dies hätte bedeutet, dass das komplette Gerichtsgebäude immer wieder hätte abgesperrt werden müssen. Zudem hätte an den Verhandlungstagen kein anderer Prozess stattfinden können. Zu jedem einzelnen Termin hätten die Personenschützer mich mit genau diesem Aufwand abholen und zum Gericht bringen müssen. Und zu alledem wären noch die Kosten für die Richter, Beisitzer und den Staatsanwalt gekommen. Dieser Wahnsinn hätte Unsummen verschlungen. In dieser Situation entschieden sich die Richter für einen Deal.
Der Deal bedeutete, dass die Angeklagten den Raubüberfall auf mich gestehen sollten und dafür mit extrem geringen Strafen davonkämen. Ich bekam von dem ganzen Theater nichts mit, zum Glück. Am frühen Nachmittag kam mein Anwalt zu mir ins Zimmer. Er
»Hells Angels auf freiem Fuß« meldet die Hessische Allgemeine ( HNA ) am 9. Mai 2008
sagte, dass der Prozess zu Ende sei. Ich schaute ihn ungläubig an. Dann erklärte er mir, dass alle Haftbefehle aufgehoben worden waren.
Ich hätte kotzen können. Die waren alle wieder frei! Die höchste Strafe, die ausgesprochen wurde, waren zwei Jahre auf Bewährung. Normalerweise hätte die Mindeststrafe bei einem solchem bewaffneten Raubüberfall – und das war es für mich – drei Jahre Knast lauten müssen. Ich konnte es kaum fassen.
Ich verabschiedete mich von meinem Anwalt und wurde von den Personenschützern mit dem üblichen Aufwand wieder nach Hause gebracht. Diesmal warte te unten im Gerichtsgebäude der Bus einer Reinigungsfirma auf mich, ein uralter Ford Transit, der mich zum Gelände der Bereitschaftspolizei brachte. Dort stieg ich in eines der gepanzerten Autos um. Die Kolonne fuhr mich zurück zu meiner Wohnung. Dort angekommen, musste ich mich erst einmal setzen. Ich drehte mir eine Zigarette und trank einen Whiskey – zur Beruhigung.
Wenige Tage später erfuhr ich, dass das Charter Kassel offiziell aufgelöst wurde. Das ging mir runter wie Öl. Ich hatte immer gesagt, dass es ohne mich kein Charter Kassel mehr geben würde. Das war jetzt der Fall. Wie ich später erfuhr, wurden alle Member anderen Chartern zugeteilt. Einige sind heute bei dem Charter in Hanau, andere in Hannover und Bielefeld. Der Präsident ist heute kein Präsident mehr, sondern muss jetzt in einem anderen Charter Stiefel lecken. Meine ehemaligen Brüder hatten das wohl Wichtigste in ihrem Leben verloren: ihr eigenes Hells Angels Charter.
Rechtsstaat ?
Mehr als zwei Jahre ist es jetzt her, seitdem die Bullen mich ins Präsidium bestellt und mir erzählt haben, dass es einen Mordauftrag gegen meine Schwester und mich gibt. Auch als juristischer Laie weiß ich, dass beim Verdacht auf Verabredung zum Mord ein Ermittlungsverfahren von Amts wegen einzuleiten ist – gegen alle Hells Angels also, die bei jenem Treffen in Frankfurt am Main anwesend waren. Mein Anwalt hat mehrfach bei der zuständigen Staatsanwaltschaft nachgefragt. Doch bis heute haben wir nichts in Erfahrung bringen können, obwohl die Namen der Beteiligten der Polizei bekannt sind. Auch die Namen der russischen Member kennen sie, und sie wissen sogar einiges über die Killer der russischen Sondereinheit. Es ist eine unfassbare Geschichte.
Die Schmierenkomödie begann am 26. August 2008. An diesem Tag stellte ich Strafanzeige wegen des Straftatbestands der Verabredung zum Mord. Die Antwort kam überaus fix: Zwei Tage später teilte mir der Generalbundesanwalt in einem Schreiben mit, dass er nicht zuständig sei und dass er meine Strafanzeige an die »örtlich zuständige Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel weitergeleitet« hat. Ich wunderte mich: Kassel? Zuständig müsste doch eigentlich die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main sein, weil dort der
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