Höllenschlund
was wurde nach dieser Expedition aus ihm?«, fragte Gamay.
»Er tat etwas, das vielleicht der größte Fehler seines Lebens war. 1807 nahm er die Ernennung zum Gouverneur des Louisiana-Territoriums an.«
»Fehler?«, fragte Paul. »Ich hätte gedacht, er wäre die beste Wahl für eine solches Amt.«
»Lewis war aber wesentlich besser für die Erforschung der Wildnis geeignet. St. Louis war ein abgelegener Außenposten voller gefährlicher Männer, Verbrecher und Glücksjäger. Er musste sich mit Intrigen, Fehden und Verschwörungen auseinandersetzen. Und ständig machte ihm sein Assistent einen Strich durch die Rechnung. Aber bis zu seinem Tod hat er immerhin zweieinhalb Jahre als Gouverneur durchgehalten.«
»Nicht schlecht, wenn man die Schwierigkeiten bedenkt, mit denen er zu tun hatte«, sagte Paul.
»Er musste im Sitzen arbeiten, in einem beengenden Büro«, sagte Angela. »Aber nach den meisten zeitgenössischen Berichten soll er sich auch dabei ziemlich gut geschlagen haben.«
»Was geschah, bevor er die Entscheidung traf, nach Washington zu gehen?«, fragte Gamay.
»Lewis hatte einem Häuptling der Mandan sein Land zurückgegeben. Der Kostenplan wurde um fünfhundert Dollar überzogen, und die Bundesregierung lehnte seinen Finanzierungsantrag ab. Es gab Gerüchte über Mauscheleien beim Landverkauf. Lewis sagte, er wäre in einer finanziellen Notlage und müsste nach Washington gehen, um seinen Namen reinzuwaschen. Außerdem wollte er dort wichtige Dokumente abliefern.«
»Erzählen Sie uns von der Reise, die mit seinem Tod endete«, bat Gamay.
»Die Geschichte steckt voller Widersprüche und Ungereimtheiten«, sagte Angela.
»Inwiefern?«, fragte Gamay.
Angela schob eine Landkarte über den Schreibtisch. »Lewis bricht Ende August 1809 von St. Louis auf. Er folgt dem Mississippi, bis er am fünften September Fort Pickering in Tennessee erreicht. Lewis ist von der Hitze erschöpft und erleidet möglicherweise einen Malariaanfall. Es geht das Gerücht um, dass er während der Reise nicht mehr ganz richtig im Kopf war und einen Selbstmordversuch unternommen hat. Ein anderes Gerücht besagt, er hätte die ganze Zeit mit alten Kameraden aus der Armee getrunken. Das ist seltsam, zumal es im Fort niemanden gab, den er aus seiner Armeezeit hätte kennen können.«
»Wie sieht es mit dem Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte aus?«, fragte Gamay.
»Es sind alles Berichte aus zweiter Hand. Lewis schrieb im Fort einen Brief an Präsident Madison, der zeigt, dass er ganz und gar bei Verstand war. Er berichtet Madison, dass er erschöpft sei, sich aber schon wesentlich besser fühle. Und dass er plant, seine Reise über Land durch Tennessee und Virginia fortzusetzen. Er schreibt außerdem, dass er Originaldokumente von seiner Pazifik-Expedition mit sich führe und auf keinen Fall wolle, dass sie in die Hände der Briten fielen, die möglicherweise bald den Krieg erklären würden.«
»Was geschah dann?«, fragte Paul.
»Zwei Wochen nach seiner Ankunft im Fort macht sich Lewis wieder auf den Weg. Er reist mit zwei Kisten, in denen sich seine Unterlagen von der Pazifik-Expedition befinden, außerdem eine Aktentasche, ein Notizbuch und andere private und öffentliche Dokumente. Die Expeditionstagebücher bestehen aus sechzehn Notizbüchern, die in rotes Maroquinleder gebunden sind.«
»Es muss anstrengend gewesen sein, all das Zeug ganz allein auf dem Landweg zu transportieren«, sagte Paul.
»Es war praktisch unmöglich. Deshalb nahm er auch ein Angebot von James Neelly an, ihm ein zweites Pferd mitzugeben. Neelly war ein ehemaliger Indianeragent für die Chickasaw-Stämme. Am neunundzwanzigsten September verließen sie das Fort: Lewis, sein Diener Pernia, ein Sklave und Neelly.«
»Nicht gerade das fürstliche Gefolge, das man vom Gouverneur eines riesigen Territoriums erwarten würde«, bemerkte Gamay.
»Auch mir bleibt es rätselhaft«, sagte Angela. »Vor allem in Anbetracht der Legende von Lewis’ verlorener Goldmine.«
»Die Geschichte spitzt sich zu«, sagte Paul. »Erzählen Sie uns doch von der Mine.«
»Es hieß, dass Lewis auf seiner Pazifik-Expedition eine Goldmine entdeckt hätte. Er hat ein paar Freunden davon erzählt und angeblich eine Beschreibung hinterlegt, damit sie im Fall seines Todes für das Land von Nutzen wäre. Ich bin mir sicher, dass die Geschichte von der Goldmine allgemein bekannt war. Und auf der gesamten Wegstrecke wusste man, dass der Gouverneur irgendwann vorbeiziehen
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