Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
Trinkgeld bekommen. Bei einem Trinkgeld von fünf Dollar wurde ich richtig wach. Als er ausstieg, fragte ich ihn, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Das war meine persönliche Form der Berufserkundung. Wenn ich jemanden fuhr, der mir aus irgendeinem Grund interessant schien und mit Geld wie mit Konfetti um sich warf, fragte ich immer, wovon er lebte.
»Ich bin Seemann bei der Handelsmarine«, sagte er.
»Hm. Und was ist das?«
»Na ja, wir schippern in Frachtern über die Meere.«
»Klingt spannend.«
War es aber nicht. Spannend war, dass da einer um 10.00 Uhr im Hafen ankam und sich dann mit Taschen voller Geld und in der besten Lederjacke Bostons zur Combat Zone fahren ließ, um mal ganz allein einen drauf zu machen.
Als er gerade in ein Striplokal verschwinden wollte, schrie ich ihm nach: »Hey – wie kommt man in die Marine?«
Der Bursche hatte wahrscheinlich drei Monate zur See verbracht und bestimmt keine große Lust, sich noch eine Weile mit einem männlichen College-Abbrecher zu unterhalten. »Ruf da mal an«, sagte er und drückte mir die Geschäftskarte einer Seemannsschule in Baltimore in die Hand. Dann verschwand er.
Ich schrieb an die Schule, erhielt aber keine Antwort. Ich vergaß die Sache wieder, bis mein Bruder Michael nach Boston zurückkam und bei einer Bierparty in meinem Apartment auftauchte. Michael besuchte die Massachusetts Maritime Academy (MMA) in der Buzzards Bay und war ganz begeistert. »Nicht schlecht dort«, sagte er bei einem Plastikbecher mit eiskaltem Falstaff-Bier. »Sie rasieren dir nicht den Schädel. Eigentlich ist es keine militärische Akademie, es gibt keine richtigen Uniformen, nicht mal besonders viel Disziplin, und wenn du nach einer Fahrt aufs Festland zurückkommst, kannst du sechs Monate am Stück zu Hause bleiben.« Ich hatte damals zwei Jobs und kam grade mal auf 220 Dollar die Woche, deshalb war ich reif für was Neues. Jack Kerouac hatte ich immer gern gelesen, und die Vorstellung, um die Welt zu fahren, kam mir immer attraktiver vor, je länger ich Geschäftsleute oder Nutten durch Boston kutschieren musste. Meine Nachbarn, Mrs Paulson und Mr Muracco, setzten sich sehr für mich ein und trugen entscheidend dazu bei, dass ich in die Akademie aufgenommen wurde, und der Coach der Uni-Basketballauswahl schickte dem Coach der Akademie ein Empfehlungsschreiben für mich. Ein paar Monate später wurde ich zugelassen. Ich konnte es kaum erwarten, mit der Ausbildung anzufangen.
Ich fuhr mit meinem VW-Bus zum Campus, obwohl ich einen so gewaltigen Kater hatte, dass ich kaum geradeaus sehen konnte. Am Abend vorher hatte ich mit Freunden einen feuchtfröhlichen Abschied gefeiert. Als ich auf den Campus fuhr, fühlte ich mich wie John Belushi nach einer Toga-Party, die die ganze Nacht gedauert hatte. Der Campus der MMA ist winzig, er umfasst etwa sechs Häuser mit Unterkünften, ein Ausbildungsschiff, ein paar Seminargebäude, das Verwaltungsgebäude und eine Bibliothek. Als ich das alles zum ersten Mal sah, dachte ich: Das sieht nicht schlecht aus. Und der Admiral, der uns begrüßte, war sehr höflich, vor allem zu unseren Eltern. »Heute verlieren Sie Ihren Jungen«, sagte er während seiner Rede. »Wenn wir ihn zurückgeben, wird er ein Mann sein.«
Kaum war das letzte Elternauto vom Parkplatz verschwunden, als sich die Ausbilder zu uns umdrehten und zu brüllen begannen. Jetzt waren wir plötzlich nicht mehr die lieben neuen Jungs, die gehätschelt werden wollten. Wir waren die »Youngies« und ungefähr so viel wert wie Spucke auf dem Gehweg. Sie brüllten uns an, als sie uns zum Friseur trieben, wo wir uns die Haare scheren lassen mussten; sie brüllten uns an, als sie uns in Zweierreihen über den ganzen Campus jagten, und am Abend brüllten sie uns ohne jeden Grund immer noch an. Die MMA erwies sich als eine waschechte Militärschule; hier wurde man zuerst einmal »gebrochen«, bevor man als Seemann der Handelsmarine neu aufgebaut wurde. Das musste ich meinem Bruder wirklich lassen: Er hatte mich sauber hereingelegt.
Das erste Jahr war ständige Schikane. Es gab da zwar diesen Admiral namens Shakey, der angeblich die Akademie leitete, tatsächlich aber hatten die älteren Schüler der Vorabschluss- und der Abschlussklassen, die nach ihrem Studienjahr Drei- oder Vierstreifer genannt wurden, das Sagen. Auf dem Flur konnte plötzlich irgendein Dreistreifer – ein Student im Junior- oder Vorabschlussjahr – um die Ecke biegen und verlangen, dass man
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