Höllental: Psychothriller
Wollmantel wie ein Politiker beim Staatsempfang.
Petra Waider stand neben ihrem Mann, schüttelte ebenfalls Hände, schien sich aber nicht wirklich für die Trauergäste zu interessieren. Als sie Roman erblickte, kam sie auf ihn zu. Heute wirkte sie nicht mehr so durchscheinend wie noch vor vier Tagen. Sie lächelte sogar schwach, als sie sich die Hand gaben.
»Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind.«
»Es tut mir sehr leid«, sagte Roman.
»So ein schwerer Tag … Der schwerste Tag meines Lebens, keine Mutter sollte das durchmachen müssen. Haben Sie Kinder?«
Roman schüttelte den Kopf.
»Aber eines Tages werden Sie welche haben, ganz bestimmt. Passen Sie immer gut auf sie auf, hören Sie …«
Ihre Mundwinkel rutschten nach unten, ihre Lippen begannen zu zittern, sie drückte Romans Hand noch fester und schien sich an ihm aufzurichten. Menschen gingen an ihnen vorbei, warfen ihnen verstohlene Blicke zu, Roman fühlte sich beobachtet und meinte, den glatzköpfigen großen Mann irgendwo in seiner Nähe gesehen zu haben.
»Frau Waider«, begann er schließlich und musste sich räuspern, da seine Stimme streikte . »Ich habe hier etwas für Sie.« Er griff in die Tasche seines Mantels und holte das Medaillon heraus.
Petra Waider sah ihn verständnislos an. »Was ist das?«
»Sie … Sie kennen es nicht?«
»Nein. Sollte ich denn?«
»Na ja, zumindest dachte ich das. Es … Ich glaube, Ihre Tochter hat es oben auf der Brücke fallen lassen.«
Bis zuletzt hatte Roman nicht gewusst, ob er hier, an der Pforte zum Friedhof, kurz vor der Beerdigung, wieder lügen würde. Er hatte vorgehabt, die Wahrheit zu sagen, den Waiders zu gestehen, dass ihm ihre Tochter aus der Hand gerutscht war.
… nein, das stimmt nicht, sie ist dir nicht weggerutscht, sie hat sich deinem Griff entwunden, hat sich gegen deine Hilfe gewehrt …
Und doch traute er sich nicht. So mies hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt, aber jetzt war es zu spät. Jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen.
»Es hat Laura gehört?«, fragte Petra Waider und betastete das Medaillon vorsichtig.
Roman nickte. »Ich denke, ja.«
Petra Waider nahm seine Hand, drehte sie herum, drückte das Medaillon in die Innenfläche und dann die Finger zusammen, sodass das Schmuckstück darin verschwand.
»Behalten Sie es«, flüsterte sie.
Die beiden sahen sich an, und Roman nickte nur. In seinem Hals bildete sich ein fester Kloß.
Friedhelm Waider trat hinzu und zerstörte diesen intimen Moment. »Der Mann von der Bergwacht, richtig?«, sagte er und legte Roman eine Hand auf die Schulter.
Es fiel Roman schwer, sich von Petra Waider zu lösen und sich auf ihren Mann zu konzentrieren. Das Medaillon ließ er zurück in die Manteltasche gleiten.
»Richtig. Roman Jäger. Ich möchte Ihnen beiden noch einmal sagen, wie leid es mir tut.«
Waider ergriff seine Hand und nickte. Im selben Moment schob sich eine große, schlanke Blondine zwischen sie, umarmte Frau Waider und zog sie auf die Seite. Friedhelm Waider schien darauf gewartet zu haben. Er legte Roman eine Hand auf die Schulter und dirigierte ihn ein paar Schritte weg auf die hüfthohe Mauer zu, die den Friedhof umgab.
»Hören Sie«, sagte er leise zu Roman. »Ich weiß nicht, wieso, aber meiner Frau war es sehr wichtig, dass Sie der Beisetzung beiwohnen, und ich möchte Ihnen für Ihr Kommen danken.«
»Das ist nicht nötig«, erwiderte Roman steif.
Waider überzeugte sich davon, dass seine Frau nicht in der Nähe war, und trat noch etwas näher an Roman heran. »Um einen kleinen Gefallen möchte ich Sie dennoch bitten. Für meine Frau und mich ist es von großer Bedeutung, die Hintergründe des Todes unserer Tochter zu erfahren. Deswegen wird sich ein privater Ermittler mit Ihnen in Verbindung setzen.«
»Ich wüsste nicht, was ich …«
»Tun Sie uns bitte den Gefallen, ja. Es wird sicher nicht lange dauern. Sie haben meine Tochter immerhin zuletzt gesehen, und der Ermittler wird sicher mit Ihnen darüber sprechen wollen.«
Roman steckte die Hände in die Taschen seines Mantels, befühlte das Medaillon und zuckte mit den Schultern. »Na schön, meinetwegen.«
Waider nickte. »Danke.«
Petra Waider hatte sich aus der Umarmung der Blondine befreien können und stieß zu ihnen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie ihren Mann, sah aber Roman an.
Der alte Waider warf ihm einen letzten eindringlichen Blick zu, bevor er seine Frau in den Arm nahm und auf den Friedhof führte.
Sie waren
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