Hoellentrip
schmale Streifen Licht aus den Türspalten der abgehenden Zimmer fielen. Auf einer schweren geschnitzten Truhe stand ein Telefon. Rechts öffnete sich das in der Mitte des Hauses angelegte Wohnzimmer. Schwarze alte Möbel und ein langer Esstisch mit viel zu wenigen Stühlen beherrschten den Raum.
„Scheint wirklich niemand hier zu sein“, raunte Tamara und ging weiter durch den um das Wohnzimmer herumführenden Flur, an der Eingangstür vorbei, durch dessen buntes Oberfenster farbige Splitter Licht auf den Boden fielen. Sie waren an der Küche angelangt. Einem wiederum riesigen Raum mit einem stattlichen Herd in der Mitte, über dem gusseiserne Pfannen und Töpfe hingen. In den Wänden waren halbrunde Öffnungen eingelassen, früher wahrscheinlich Öfen, jetzt Nischen für Mikrowelle, Fernseher und Kaffeemaschine.
„Sieht so aus, als ob vor kurzem noch jemand hier gewesen ist.“ Tamara hatte den Kühlschrank geöffnet und hielt eine angebrochene Milchflasche hoch. „Frischmilch. Haltbar bis morgen.“
Hinter der Küche reihten sich mindestens vier Kühltruhen.
„Voll. Die sind entweder nur für kurze Zeit weg - oder überstürzt abgehauen!“, sagte Herb und ließ den Deckel wieder zufallen.
B isher hatten sie nichts entdeckt, was auf ein Verbrechen hindeutete. Hatte er sich von Joanna O’Reilly und ihrer Schwester zu sehr beeinflussen lassen? Es gab die rätselhaften Zeichnungen eines traumatisierten Kindes und eine Autonummer. Was, wenn der Junge sich die Nummer einfach ausgedacht hätte? Oder war es nicht vielmehr er, Shane, der den Jungen geradezu genötigt hatte, ASH mit einem Autokennzeichen in Verbindung zu bringen?
Er war in dem um das Wohnzimmer herumführenden Gang auf ein weiteres Zimmer gestoßen. Wieder ein düsterer Raum, der mit den bunten Fensterscheiben, dem schweren, dunklen Schreibtisch, den hohen Bücherregalen an eine ehrwürdige Bibliothek erinnerte. Auf dem Schreibtisch stapelten sich aufgerissene Briefkuverts. Shane blätterte den Stapel flüchtig durch. Es waren vor allem Rechnungen, amtliche Schreiben, ein paar Postkarten, alle an Mrs. Elizabeth Bedford adressiert. Er steckte drei Briefe in einen Plastikbeutel, um sie auf Fingerabdrücke untersuchen zu lassen.
„Shane!“ Tamaras Rufen aus einem anderen Teil des Hauses ließ ihn herumfahren. „Komm’ her!“ Er rannte hinaus in den Flur. „Shane!“
101
In welchem Zimmer war sie? „Hier!“, rief nun Herb, und Shane stieß die angelehnte Tür eines Raumes auf, der von einem schmaleren und kurzen Flur abging.
Er blickte in ein rosafarbenes Zimmer, dessen Hauptmöbelstück ein weißlackiertes Metallbett war. Tamara hatte Bettdecke und Kissen zurückgeschlagen. Unter dem Kissen lagen drei weiße Tab letten, an den Rändern aufgerau t, so als ob sie jemand schon mal im Mund gehabt und ausgespuckt hatte. Wortlos reichte er Tamara eine der Plastiktüten für die Spurenanalyse. Das Laken war eindeutig benutzt worden. Es wies Blutspuren und Flecken auf, die mit größter Wahrscheinlichkeit Spermaspuren waren.
„He, kommen Sie hierher!“, rief Herb aus einem weiteren Zimmer. Er hielt einen leeren Plastikbecher in der Hand.
„Da liegen noch mehr unter dem Bett!“
„Mousse au Chocolat“, las Tamara den Aufdruck.
„Oh làlà...“ Shane dachte an das Video aus Sophie Grangés Wohnung, „delightfully delic ious .“
Shane hatte Verstärkung angefordert, die sie ablösen sollte, bis die Spurensicherung eingetroffen wäre. Die Männer kamen mit einem Polizeiwagen, brachten Proviant und Decken mit. Sie übernahmen den Camper, den sie in den Wald fuhren, damit er nicht vom Weg her gesehen werden, man aber dennoch die Farm im Auge behalten konnte. Herb und Justin blieben bei den Männern, während Shane mit Tamara und Fiona in den Polizeiwagen umstieg und nach Chinchilla zurückfuhr. Während der Fahrt forderte Shane Informationen über die Packers an.
„Ich will alles wissen, vom Kindergarten an. Was sie in den letzten Jahren gemacht und wo sie gelebt haben.“
Vielleicht würden sie so einen Anhaltspunkt über ihren momentanen Aufenthaltsort bekommen. Tamara, die am Steuer saß, hatte eine ganze Weile geschwiegen bis sie auf einmal sagte:
„Ich war auch mal mit einer Freundin unterwegs. Nach unserem Schulabschluss. Wir wollten nach Sydney und hatten plötzlich eine Reifenpanne . “ D en Blick auf die Straße gerichtet, redete Tamara weiter :
„Es war Nacht und keine von uns hatte jemals einen Reifen gewechselt.
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