Höllenzeit
hin, wo der Schnee noch immer als dichter Vorhang aus den tiefen Wolken wirbelte. Es sah nicht danach aus, als sollte sich das Wetter bald ändern.
»Sie wollen in die Berge, Mister?«
Ich hatte den Sprecher nicht kommen gehört, drehte mich um und sah den Tankwart vor mir. Er trug einen schmutzigen Overall, an dem er seine ebenfalls schmutzigen Handflächen abwischte, ohne sie allerdings sauber zu bekommen. Seine Strickjacke sah auch aus, als hätte sie schon bessere Zeiten erlebt.
»Das hatte ich vor.«
»Sieht nicht gut aus.« Er griff nach dem Schlauch. »Wollen Sie volltanken lassen?«
»Ja.«
Der Mann steckte den Metallhahn in die Öffnung, hakte den Abzug fest, trat zurück und schaute sich mit einem teils prüfenden und teils skeptischen Blick die Reifen an.
»Habe ich etwas falsch gemacht?« erkundigte ich mich.
Er schüttelte den Kopf. »Bisher nicht, Mister. Aber Sie können vieles falsch machen, wenn Sie jetzt weiterfahren.«
»Ich weiß. Mir fehlen die Schneeketten.«
»Genau.«
»Die liegen im Kofferraum.«
Der Tankwart grinste mich an. »Wenn Sie bereit sind, die Dinger aufzuziehen, gibt es kaum Probleme. Wenn nicht, werden Sie irgendwann mal steckenbleiben.«
»Ich werde es gleich nach dem Tanken in Angriff nehmen.«
Der Mann druckste etwas herum. »Ich meine, für eine geringe Gebühr würde ich die Arbeit übernehmen.« Er zeigte mir seine Hände. »Ich bin schon schmutzig.«
»Das wäre natürlich super.«
Der Tankwart freute sich. Kunden waren um diese Zeit rar.
»Ich muß leider fahren.«
Er hängte den Schlauch wieder an die Säule. »Wo wollen Sie denn hin, wenn ich fragen darf?«
»In die Berge.«
»Da gibt es aber nichts mehr.«
»Ich weiß. Nur eine Straße, ein paar Seen. Und die Sicht ist schlecht, weil es so stark schneit.«
»Das haben Sie gut erfaßt, Mister.« Er nahm die Schneeketten entgegen, die ich ihm reichte. »Aber mich geht das nichts an. Machen wir erst mal neue Sohlen unter Ihre Reifen.«
»Finde ich toll von Ihnen.«
»Wissen Sie, ich will ja nicht hinterher mit einem Abschleppwagen kommen und Sie aus der Schlucht holen.« Er legte die Ketten um den ersten Reifen. »So etwas kann leicht passieren, und es wäre nicht das erstemal, daß man mich rausgeholt hat.«
»Sie schleppen auch ab?«
»Als einziger weit und breit.«
Es dauerte knapp zehn Minuten, dann war alles erledigt. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
Er deutet auf sein Tankhaus. »Kommen Sie mit rein. Hier ist es zu ungemütlich.«
Ich folgte ihm in eine kleine Bude, in der es nach Öl roch, aber auch nach Kaffee.
»Trinken Sie eine Tasse mit?«
Ich schaute auf die Uhr. Es war noch nicht mal Mittag. In zwei Stunden mußte die Strecke mit den Ketten zu schaffen sein, und auf die eine oder andere Minute kam es nicht an. Deshalb gab ich meine Zustimmung.
»Holen Sie sich die Tasse bitte selbst, meine Hände sind zu schmutzig.«
Er deutete auf ein Regal, wo nicht nur Tassen standen, sondern auch offene Blechbüchsen mit Zangen, kleinen Hämmern und Schraubenziehern.
»Milch, Zucker?« fragte er.
»Diesmal schwarz.«
»Wunderbar, so nehme ich ihn auch.«
Wir blieben stehen, denn ich hatte lange genug gesessen. Der Tankwart war ungefähr in meinem Alter. Er redete gern, und so erfuhr ich, daß er zu den Aussteigern gehörte. Er war aus Glasgow gekommen und hatte sich hier vor elf Jahren mit seiner Tankstelle selbständig gemacht. In der Stadt war er nur angestellt gewesen, außerdem mochte er die Hektik nicht.
»Das kenn’ ich von London her.«
»Da ist es noch schlimmer.« Er winkte ab. »Ich war einmal dort – nie wieder.«
»Ich habe mich daran gewöhnt.« Noch einen letzten Schluck nahm ich und stellte die Tasse auf das Metall einer Spüle. »So, jetzt muß ich aber zahlen.«
Er nannte mir die Summe, die ich noch durch ein gutes Trinkgeld erhöhte, was ihn freute.
»Tja«, sagte er und begleitete mich bis zur Tür. »Dann kann ich Ihnen nur eine gute Fahrt wünschen.«
»Danke, die werde ich haben.«
Er war noch mit nach draußen gekommen und trat gegen den rechten Hinterreifen. »Die Ketten sitzen gut. Sie werden damit keine Schwierigkeiten haben, wenn Sie sich an das Tempolimit halten.«
»Mach’ ich doch glatt.«
Ich stieg wieder in den Wagen, zerrte die Tür zu und startete. Der Rover vibrierte kurz, dann lief der Motor rund, ich fuhr an und winkte dem Tankwart noch zu.
Wenig später, als ich die Ausfahrt in meinem Rücken wußte, machte ich doch große Augen, denn
Weitere Kostenlose Bücher