Höllenzeit
ein Schrei. Dann sackte der Mann in sich zusammen und hing in seinem Sessel wie ein Toter…
***
Sofort waren Ignatius und Bentini neben mir. Sie schauten zuerst auf Shiram, dann auf mich, und die eine Frage war in ihren Augen zu lesen.
Ich kam ihnen mit der Antwort zuvor. »Ich weiß nicht, ob er tot ist. Das kann ich nicht glauben.«
Ignatius untersuchte ihn. »Nein«, sagte er, als er sich aufrichtete.
»Bruder Shiram lebt. Er hat nur einen Schock bekommen. Es war wohl etwas zu viel für ihn.«
»Tut mir leid, aber ich konnte nicht wissen…«
»Schon gut, John, dich trifft keine Schuld. Wir wollten es ja auch. Er muß etwas wissen, aber…«
Ein schweres Seufzen unterbrach ihn. Keiner von uns hatte es ausgestoßen, sondern Bruder Shiram, der sich wieder bewegte, noch einmal stöhnte und aus seinem Zustand erwachte.
»Ihr seid noch da?«
Diese Frage bewies uns, daß er wieder voll dabei war und nichts vergessen hatte.
»Ja, wir haben gewartet, Bruder.«
Shiram lächelte. »Es tut gut, Freunde zu haben.« Er umfaßte Ignatius’ Hand und hielt sie fest. »Bitte, bleibt bei mir.«
»Das werden wir, aber John Sinclair möchte dich etwas fragen. Er will auch, daß du dabei sein Kreuz in die Hand nimmst. Bist du dazu bereit, Bruder Shiram?«
Es war der entscheidende Moment. Jetzt kam es darauf an, ob die andere Kraft noch so groß war, daß sie den Willen des ›Verräters‹ beherrschte.
Dieser Mann befand sich in einer ungemein schwierigen Lage. Das Kreuz war für Schwarzblütler gefährlich, es würde sie zerstören, aber Shiram zählte nicht direkt dazu.
Er überlegte, er kämpfte mit sich selbst. Wir ließen ihm die Zeit und lauschten dabei seinen schweren Atemzügen. Draußen vor den Fenstern nahm die Dunkelheit zu. Da wanderten Schatten über den Himmel wie große Gespenster. Sie ließen die Klarheit des Tages nur mehr Erinnerung sein. Die Dunkelheit des Himmels war wie ein Omen, ein bedrückendes Zeichen, das näher und näher kam.
Ich hätte gern nach draußen geschaut, aber ich mußte bleiben. Shiram brauchte mich jetzt.
Er atmete tief ein und aus. Sein Atem drang stoßweise aus dem Mund.
Das erreichte auch den im Hintergrund wartenden Monsignore Bentini.
Er hatte uns das Feld überlassen, da er wußte, daß er jetzt nicht eingreifen mußte.
»Ja!« stieß der Verletzte hervor. »Ja, ich will es haben. Gebt es mir, bitte.« Er hatte seine Hand vom Arm des Fathers Ignatius gelöst und bewegte sie zeitlupenhaft auf mich zu. Seine starre Haltung erinnerte mich dabei an die eines Blinden, der versucht, nach etwas zu tasten, das ihm offeriert wird.
Ich legte das Kreuz gegen seine Hand. Er griff noch nicht zu. Statt dessen zuckte er zusammen, und es sah so aus, als wollte er auch die Hand zurückziehen.
Keiner von uns kannte den Grund. Es konnte an den Kräften des Kreuzes liegen oder nur am Metall, das ziemlich kühl war, verglich man es mit seiner Hand.
Plötzlich aber griff er zu. Shiram riß mir das Kreuz förmlich aus der Hand.
Er hielt es fest und umklammerte es wie einen Rettungsanker. Er hatte sich überwunden, das Kreuz befand sich in seinem Besitz, ab jetzt waren wir gespannt…
***
Zunächst geschah nichts. Nur das gesunde Auge hielt er geschlossen, während das verbrannte offen blieb und wie eine helle Kugel aus der Umgebung hervorglotzte.
Das Bild war wirklich nicht schön. Es fiel uns auch schwer, es zu akzeptieren, doch das allein störte mich nicht. Mir war etwas anderes aufgefallen, und zwar die Veränderung innerhalb des Auges. Sie kam mir unheimlich vor, denn über das Auge hatte sich ein düsterer Schatten gelegt, der gleichzeitig eine gewisse Durchlässigkeit aufwies, so daß ich direkt in die Pupille schauen konnte.
Sie zeigte ein Wechselspiel aus Licht und Schatten. Beides sehr dünn und beinahe an eine optische Täuschung erinnernd, aber dies war erst geschehen, als Shiram den Kontakt mit dem Kreuz bekommen hatte.
Wahrscheinlich hatte sich auch in seinem Innern etwas verändert, nur war dies noch nicht so gravierend, als daß ich den beiden anderen Bescheid gegeben hätte.
Father Ignatius stand sehr gespannt neben mir. Er machte den Eindruck, als würde er den Atem anhalten und sonst an nichts anderes mehr denken. Die Hände hielt er vor seinem Körper und hatte sie wie zum Gebet zusammengefaltet.
Monsignore Bentini war auf leisen Sohlen näher gekommen. Wie ein großer Schutzengel stand er hinter dem Sitzenden und schaute auf ihn herab. In seinem Gesicht
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