Höllische Versuchung
mit einem Essenswagen durch den Gang zu schieben, also war es Zeit zum Mittagessen … oder zum Abendbrot. Womöglich Frühstück?
Batanya war es peinlich, dass sie in den Tunneln vor ihrer Gefangennahme jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Spauling hatten sie mitten am Nachmittag verlassen, wobei das nicht heißen musste, dass sie zur gleichen Zeit in der Hölle gelandet waren. Und spielte es letztendlich überhaupt eine Rolle? Bestimmt gab es genügend Höllenbewohner, die rund um die Uhr wach waren.
Als sie das Scharren der Hundekrallen auf dem Steinboden vernahm, wappnete sie sich innerlich, wobei ihre Hände zitterten und ihr der Schweiß den Rücken hinunterrann.
»Ich hasse diese gottverdammten Köter«, flüsterte sie leise, doch Clovache hörte sie trotzdem.
»Hast du schon deine Tasche gecheckt?«, fragte sie.
»Eure Anstaltskleidung hat doch gar keine Taschen«, sagte Amelia.
»Wir haben unsere eigenen«, sagte Batanya.
Nach einer besonders erfolgreichen Mission hatte ihnen ihr Auftraggeber eine ansehnliche Prämie gezahlt. Clovache hatte damals von dem Geld unbedingt nach Pardua reisen wollen, um in dem berühmten auf weibliche Kunden spezialisierten Freudenhaus die Männer tanzen zu sehen, doch Batanya hatte sie überredet, stattdessen einen speziellen Arzt aufzusuchen. Batanya hatte eine künstliche Wangenwand, die mittels bester und teuerster Chirurgie eingearbeitet war. In dieser schmalen Tasche steckte eine hauchdünne Klinge. Sie war scharf genug, um ein Blutgefäß – sei es ihr eigenes oder das von jemand anderem – aufzuschneiden, und wurde nur im äußersten Notfall benutzt.
Doch nun war es an der Zeit.
Clovache hatte eine ähnliche künstliche Tasche unter der Achselhöhle. Eine sehr, sehr gründliche Leibesvisitation hätte ihre und vielleicht auch Batanyas Tasche zutage gefördert, aber sie waren nicht sehr genau durchsucht worden. Ein weiteres Indiz dafür, dass nur die schlechtesten Soldaten für die Bewachung der Gefangenen abgestellt waren. Clovache trat im gleichen Moment wie Batanya an die Zellentür.
»Narziss«, rief Clovache. Der junge Mann hielt in der Betrachtung seiner Nägel inne. »Reg dich gleich nicht auf«, sagte sie mitfühlend und sah ihn dabei fest an. »Ich verspreche dir, dass sie ganz schnell wieder gesund werden.«
»Viel Glück«, sagte Amelia noch, als die Hunde in den Gang stürmten. Ihre riesigen schwarzen Köpfe schwangen hin und her, als könnten sie sich nicht entscheiden, wer besser schmecken würde. Ihre Augen glühten wie Kohlestückchen.
Die Britlinge hielten den Hunden ihre aufgesparten Fleischstückchen hin. Sie standen so nah beisammen wie möglich. Schnuppernd näherten sich die Tiere. Clovache hielt ihre Hand ans Gitter und ein Hund drückte seinen Kopf dagegen. Seinen breiten Schädel konnte er nicht hindurchzwängen, aber die Nase, die steckte er hinein. Während Clovache den Hund mit der linken Hand fütterte, schob sie ihre rechte klammheimlich durch die Stäbe, packte den Hund am nietenbesetzten Halsband und schnitt ihm mit ihrer winzigen Klinge in den Hals. Ein Blutschwall ergoss sich über die Gitterstäbe und der Hund zuckte bellend zurück.
Das Blut spritzte auch über Clovaches Hände.
Batanyas Hund setzte zu einem Sprung gegen Clovaches Zellentür an. Batanya nutzte den Moment, als er ihr Brust und Bauch ungeschützt darbot, und schlitzte ihm die Haut auf. Dabei riss sie sich noch geistesgegenwärtig die Tunika vom Leib und hielt sie schützend vor sich. So bekam sie nichts von der Blutfontäne ab und fing gleichzeitig das Blut auf. Sofort rieb sie den blutdurchtränkten Stoff über die Metallstäbe. Danach stopfte sie ihn zwischen die Stäbe, damit er dort weiter seine Wirkung entfalten konnte. Um nicht mit bloßer Brust dazustehen, zog sie das Laken von der Pritsche und legte es sich um die Schultern. Sie hoffte, dass niemand den Verlust der Tunika bemerken würde.
Eine Gruppe von Wächtern kam herbeigeeilt, um nachzusehen, warum die Hunde anschlugen, und die Britlinge mussten ihr gesamtes schauspielerisches Talent aufbieten, um überrascht auszusehen.
Zwar war Narziss erblasst, als er sah, dass die Hunde verletzt wurden, dennoch verhielt er sich für den Moment ruhig. Amelia sorgte für reichlich Ablenkung, indem sie den ganzen Laden zusammenschrie. Und da sich die Wächter zunächst ihr und den Hunden zuwandten, gelang es Batanya und Clovache, ihre Klingen so zu verstecken, dass sie eventuell unbemerkt bleiben würden.
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