Höllische Versuchung
und schleifte ihn weg. Dabei hinterließ die Leiche einen unschönen Blutstreifen, bevor sie endlich außer Sicht war. Kurz darauf kam die Wache noch einmal zurück, um den Kopf zu holen. Er sagte kein Wort zu den Gefangenen und auch sie schwiegen ihrerseits.
Nachdem er endgültig verschwunden war, sagte Clovache: »Die Wachen sind wohl nicht gerade die fähigsten und angesehensten Soldaten?«
Narziss lächelte. »Nein, die meisten leben nicht lange. Eine Zeitlang habe ich eine Sonderbehandlung genossen. Da mich die Hunde so mögen, habe ich den Wächtern weisgemacht, dass die Hunde diejenigen, die mir Dinge schenken, nicht so leicht angreifen würden. Das hat auch eine Weile funktioniert. Einen Spiegel habe ich bekommen, extra Essen und sogar eine Haarbürste. Doch dann hat sich der größere der beiden Hunde über eine weibliche Wache, so ein Insektenwesen, geärgert und ihr das Vorderbein abgebissen. Seitdem ist es aus mit den Zugeständnissen.«
»Wie hat sie denn ohne Vorderbein laufen können?«, fragte Clovache.
»Nicht besonders gut. Ich habe sehr lachen müssen«, sagte Narziss.
Batanya warf ihm einen prüfenden Blick zu. Er war offensichtlich ziemlich herzlos, wenn es nicht gerade um ihn ging. Aber dennoch konnte er ihnen nützlich sein.
»Wie oft kommen die Höllenhunde denn her?«, fragte sie Amelia.
»Zweimal am Tag, zumindest war es gestern so«, sagte Amelia forsch. »Es muss jetzt morgens sein und dies war ihr erster Besuch. Weiß einer, wie spät es ist?«
Batanya zuckte mit den Achseln. »Ich habe jedes Zeitgefühl verloren.«
»Ich vermute, man lässt sie immer nur für die Patrouillen heraus. Vielleicht werden sie aber auch von anderer Stelle kontrolliert. Einen Hundeführer habe ich bislang noch nicht gesehen. Offenbar können die Tiere tun und lassen, was sie wollen.«
Batanya setzte sich auf ihre Pritsche und dachte nach. Wenigstens waren sie und Clovache zusammen. Auf Narziss war kein Verlass, denn der dachte nur an sich selbst und konnte jederzeit von seinem Spiegelbild abgelenkt werden. Sobald er das Gefühl hätte, ihm sei durch Passivität mehr gedient, würde er keinen Finger mehr für sie krumm machen. Doch Amelia schien mutig zu sein.
Als mythologische Figur, über die man selbst in Spaulings Bibliotheken lesen konnte, war Narziss zeitlos, womöglich sogar unsterblich. Aber Amelia Earhart war ihrer eigenen Aussage zufolge ein Mensch, die in eine ganz bestimmte Erdzeit gehörte. Irgendwie war es ihr gelungen, durch die Zeit zu reisen. Bestimmt würden sich die Hexen und Techniker des Britlingkollektivs brennend dafür interessieren. Obgleich sie an der Zeit nicht herumpfuschen sollten. Allein der Gedanke bereitete Batanya Unbehagen. Wenn es ihnen möglich wäre, mit Amelia zurückzukehren, würde das für die Tatsache entschädigen, dass sie ihren Auftraggeber hatten gefangen nehmen lassen. Zudem schien Amelia vernünftig und sie hatte offensichtlich keine Ahnung, wie sie in ihre Zeit und Welt zurückkehren konnte.
»Hört mir zu, Amelia, Clovache«, sagte Batanya. Ihr gefiel es nicht, dass Narziss alles mitbekam, aber sie hatte weder etwas zum Schreiben dabei, noch verfügte sie über telepathische Kräfte, und Zeichensprache beherrschte sie auch nicht. Wenn ich wieder zu Hause bin, dachte sie, werde ich die Lehrer bitten, Zeichensprache mit in den Stundenplan aufzunehmen. Sie musste lächeln. Natürlich war es sehr unwahrscheinlich, dass sie hier lebend wieder rauskommen würden, aber sie konnte spüren, dass ihr Überlebenswille beschlossen hatte, dass es trotzdem so sein sollte.
Amelia und Clovache drängten sich an die Gitterstäbe.
»Wie lange dauert es noch, bis sie uns Essen bringen?«, fragte Batanya.
Amelia überlegte einen Moment. »Sie sollten bald kommen«, sagte sie. »Die Mahlzeiten werden nicht ganz regelmäßig eingehalten, aber wir kriegen dreimal am Tag etwas. Es ist immer gleich. Frühstück, Mittag oder Abendbrot, da ist kein Unterschied.«
Batanya sagte: »Wir müssen hier raus. Früher oder später hat Luzifer von Crick die Nase voll oder ihm ist es plötzlich egal, dass er das Kollektiv gegen sich aufbringt. Wir erklären Ihnen das alles später, Amelia. Jedenfalls lässt er uns vielleicht töten oder es kommt zu einem bedauerlichen Unfall. Wenn er schon mit dem Leben seiner eigenen Soldaten so gleichgültig umgeht … «
»Ich bin ganz Ohr«, sagte Amelia. »Aber was machen wir mit diesem Waschlappen hier?« Dabei deutete sie auf Narziss’
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