Höllische Versuchung
Stufe Menschen aus Sicht von Erzengeln rangierten. Irgendwo hinter Ameisen. »Es hat damit zu tun, dass sich ein anderer Erzengel in seine Belange gemischt hat. Er ist stocksauer.« Und wenn Erzengel sauer wurden, kannten sie kein Erbarmen. »Hast du mitbekommen, was er diesem Vampir am Times Square angetan hat?«
Deacon nickte bedächtig. »Hat ihm sämtliche Knochen gebrochen und ihn dort liegen lassen. Zur Abschreckung. Und der arme Kerl war die gesamte Zeit über bei vollem Bewusstsein.«
»Dann weißt du ja, warum ich keinesfalls möchte, dass Raphael Anteil an meinem Wohlergehen nimmt.«
Deacon erwiderte nichts, doch sie wussten beide, dass Sara als Gildedirektorin mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit Raphaels Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde als als einfache Jägerin. Dennoch kam es kaum vor, dass ein Erzengel sich mit einem Menschen direkt in Verbindung setzte. Sara hatte noch nie davon gehört. Die Erzengel regelten ihre Geschäfte aus der Ferne, von ihren Türmen aus.
Der Erzengelturm in Manhattan stellte alle Gebäude im gesamten Bundesstaat in den Schatten. Wie oft schon hatte Sara in Ellies überteuerter Wohnung gesessen und zugesehen, wie die Engel ein- und ausflogen. Ihre Füße berührten praktisch nie die Erde, dachte sie. »Weißt du, ich glaube, Ellie hat größere Chancen als ich, einem Erzengel einmal persönlich zu begegnen.«
»Warum das?«
»Ich habe das im Gefühl.« Es war ein Kribbeln im Nacken, ein Hauch dessen, was ihre Urgroßmutter ›das dritte Auge‹ genannt hatte. »Meinst du, wir sollten Ellie anrufen?«
»Wenn Marco allein ist, werden wir mit ihm fertig. Lass uns erst mal die Lage checken. Ich will nicht, dass er in Panik gerät.« Er verstummte. »Obwohl dieser Silas auch nicht gerade ein Obersympath zu sein scheint.«
»Stimmt. Aber Marco hat auch Rodney verletzt, der ungefähr so gefährlich wie ein Kaninchen ist.« Sie hoffte inständig, dass sein Meister ihn nicht allzu hart bestraft hatte. Und dass er dieser Schlampe Mindy den Kopf abgerissen hatte.
»Wir sind da.« Deacon fuhr rechts heran und stellte den Motor ab. »Die Bar sollte jetzt geschlossen sein.«
Sie verstauten die Helme und begaben sich in Richtung Bar … blieben allerdings abrupt stehen, als eine kleine alte Dame die Straße entlangkam und bei ihrem Anblick schnell in die entgegengesetzte Richtung eilte. Sara sah Deacon an, betrachtete ihn genau. Groß, sexy, bis an die Zähne bewaffnet … und über und über mit Blut befleckt. »Huch.«
Er lächelte sie an, ganz langsam und mit einem Glitzern in den Augen, das ihr nur allzu deutlich verriet, dass er jetzt gerne nackt wäre. Mit ihr. »Am besten, wir bringen die Sache hinter uns, bevor noch die Polizei auftaucht. Dann ist hier nämlich die Hölle los.«
Sie nickte und verdrängte alle Gedanken an seinen nackten, nur mit Seifenschaum bedeckten Körper. »Wie kommen wir in den Keller?«
Deacon zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Wir fragen.«
»Wa… Okay, das könnte klappen. Zwei Jäger, die einen Unterschlupf und eine Waschgelegenheit brauchen. Einverstanden.«
Die Eingangstür zur Bar war verschlossen und die Neonbeleuchtung ausgeschaltet. Deacon wollte gerade klopfen, da hielt Sara ihn am Arm fest und deutete auf die seitlich verborgene Gegensprechanlage. Sie drückte auf den Knopf und wartete.
»Ja?«, ertönte Marcos Stimme. Er hörte sich müde an, aber kein bisschen aggressiv.
»Marco, wir sind es, Sara und Deacon. Wir müssten uns dringend mal waschen.«
»Das sehe ich.« Die Tür öffnete sich mit einem Klicken. »Kommen Sie rein.«
Sie traten ein. Sara wartete noch, bis die Tür hinter ihnen wieder ins Schloss gefallen war, bevor sie flüsterte: »Sag mal, spinn ich oder was? Der Typ hört sich total normal an.«
Deacon sah ebenfalls nachdenklich aus. »Entweder ist er ein verdammt guter Schauspieler oder hier geht irgendetwas anderes vor.«
Marco steckte den Kopf aus der Tür, die zu seiner Wohnung oben führte. Er pfiff anerkennend, als er die beiden sah. »Das muss ja ein ganz schöner Kampf gewesen sein. Das Badezimmer ist groß genug für zwei.« Er verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen, doch konnte er damit seine Erschöpfung nur unzureichend vertuschen.
Aber selbst wenn er die ganze Nacht aufgeblieben war, war auch daran nichts Außergewöhnliches.
Dann fiel Saras Blick plötzlich auf das Chaos in der Bar. Der Boden war mit Scherben und Blut übersät, in der Wand prangten Einschusslöcher. Als
Weitere Kostenlose Bücher