Höllische Versuchung
Marco im nächsten Augenblick wieder hinter der Tür erschien, konnte man deutlich sein blaues Auge sehen. »Darf man fragen?« Sie zog eine Augenbraue hoch.
Marco fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Kommen Sie mit hoch und ich erzähle Ihnen alles.«
»Sofort wäre besser«, sagte Deacon und bewegte sich nicht vom Fleck.
Marco sah von einem zum anderen und sagte: »Scheiße.« Er klang, als sei sein Herz gerade in tausend Stücke zersplittert. Er ließ sich auf der untersten Stufe nieder und vergrub den Kopf in den Händen. »Der will mir was anhängen. Der Scheißkerl will mir was anhängen.«
Sara bekam allmählich Kopfschmerzen. Statt einen verletzten Vampir aus den Klauen eines wahnsinnigen Jägers zu befreien, saß sie einem unglücklichen Liebhaber gegenüber. »Warum erzählst du uns die Geschichte nicht von Anfang an?«, schlug sie vor und hielt sicherheitshalber eine Armlänge Abstand zu Marco, falls er doch ein brillanter Schauspieler war. »Wo ist Silas jetzt?«
»Im Keller eingesperrt.« Der Blick in seinen Augen war verzweifelt, als er sie ansah. »Ich brauchte Zeit, um mich zu sammeln, bevor ich die Gilde benachrichtige.«
»Und der Mann, der ihn begleitet hatte?«
Marco deutete mit dem Kopf hinter die Bar. »Silas hat sich von hinten angeschlichen und … « Fassungslos starrt er auf seine Hände. »Ich konnte es gar nicht glauben. Aber wie der geblutet hat, mein Gott, all das Blut.«
Sara ließ Marco in Deacons Obhut zurück und stemmte sich auf den glänzenden Holztresen, um dahinterzusehen. Strahlend blaue Vampiraugen blickten ihr ins Gesicht. Sie hielt die Luft an. Geradezu lebendig sahen diese Augen aus, nur dass der Kopf nicht mehr auf dem Rumpf saß. »Tot. Die Frage ist nur: Wie ist er gestorben?«
»Silas«, wiederholte Marco tonlos. »Wie ein Pfau kam er hier hereinstolziert. Ich hätte ihn erst gar nicht reinlasssen sollen, aber ich … « Er schluckte schwer, die Hände zu Fäusten geballt. Es war offensichtlich, dass er litt. »Ich dachte, vielleicht ist er ja gekommen, um sich bei mir zu entschuldigen. Den Jungen habe ich erst viel später bemerkt.«
»Entschuldigen?« Sara hatte allmählich das dumme Gefühl, in ein schlechtes Liebesdrama hineingezogen worden zu sein.
»Na, weil er mich betrogen hat.« Endlich sah Marco ihr ins Gesicht. »Ich bin so ein Idiot gewesen. Bei der Gilde habe ich gekündigt und diese Bar hier aufgemacht, nur weil Silas sagte, er könne es nicht ertragen, dass ich bei jeder Jagd mein Leben aufs Spiel setze. Ich habe sogar Simon gebeten, bei ein paar ranghöheren Engeln nachzufragen, ob Silas’ Vertrag nicht eventuell auf einen Engel in den USA übertragen werden könnte, damit wir nicht mehr so viel hin- und herfliegen müssen.«
»Hier.« Sara warf ihm eine zerbeulte, aber ansonsten intakte Wasserflasche zu. »Einmal tief durchatmen.«
»Kann ich nicht.« Er trank die Flasche in einem Zug leer und warf sie achtlos beiseite. »Er hat mich nur benutzt. Wollte unbedingt aus seinem Vertrag. Sein Engel kann ihn nämlich nicht leiden. Das hätte ich ja noch verkraftet. Scheiß aufs Ego. Ich habe ihn geliebt. Aber die ganze Zeit, in der wir zusammen waren, hatte er noch … weiß der Teufel, wen noch alles, gehabt. Mehr als einen jedenfalls.«
»Marco, das ergibt doch alles keinen Sinn.« Sara verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum sollte er Ihnen etwas anhängen wollen, wenn er es doch war, der Sie betrogen hat?«
»Weil ich ihm den Laufpass gegeben habe.« In diesem Moment erkannte Sara den Jäger in Marco: hart und unerbittlich und bestimmt ausgezeichnet in seinem Job. »Ich habe ihm gesagt, er solle verschwinden und nie mehr wiederkommen.«
»Für ihn hieß das, dass er damit alle Chancen verspielt hatte, aus seinem alten Vertrag zu kommen.« Deacon verharrte nach wie vor auf seinem Posten neben der Tür. »Hört sich plausibel an. Aber alle Indizien deuten auf einen Jäger.«
»Er hat sich meine Sachen genommen. Waffen, Kleidung und eines meiner Zeremonienschwerter.« Marco knirschte wütend mit den Zähnen. »Ich komme mir so saudumm vor. Ich wusste schon, dass er mit Zurückweisung nicht gut klarkommt, aber dass er anfängt, Leute umzubringen, nur um mir eins auszuwischen, hätte ich nie gedacht.«
Sara warf Deacon einen kurzen Blick zu, doch der schüttelte den Kopf. Er hatte recht. Marcos Geschichte war sehr glaubhaft. Aber dennoch stand sein Wort gegen Silas’. Bei den Vampiren würde es gar nicht gut ankommen, wenn sie Marcos
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