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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Gemeinschaftspraxis. An den Wochenenden waren sie regelmäßig zusammen, meist bei ihm, weil sich in Köln mehr kulturelle Auswahl bot, wenn sie ausgehen wollten. Wenn sie darüber hinaus zwei Abende pro Woche miteinander verbrachten, war das schon viel. Dabei verstanden sie sich gut. Im Bett klappte es auch. Bei einer langjährigen Beziehung durfte man natürlich keine rasende Begierde oder romantischen Anwandlungen mehr erwarten. Sie hatten immerhin die gemeinsame Basis ihres Berufs.
    Aber vielleicht war das keine Basis, sondern der Haken an der Sache. Der einzige Grund womöglich, der ihn bisher daran gehindert hatte, an Hochzeit zu denken. Sie kannten sich zu gut, durchschauten sich immer sofort. In ihrer Beziehung war kein Platz mehr für Illusionen. Und wer brauchte nicht hin und wieder eine?
    Patrizia hatte anscheinend von einer Illusion gelebt und ging daran zugrunde, dass ihre Träume zerstört worden waren. Die Frage war, wer der Zerstörer war. Heiko Schramm? Daran zweifelte Edmund inzwischen. Der Feind war eher Paul Großmann. Ein liebender und übermäßig besorgter Vater, der für sein Kind nur das Beste wollte. Und wenn sich das mit Güte nicht erreichen ließ, dann eben auf einem anderen Weg. Auf welchem Weg, erfuhr Edmund nach der fünften Stunde.

    Patrizia saß ihm auch in dieser Stunde auf der Sesselkante gegenüber, schaute durch ihn hindurch und hörte vielleicht zu, wie er über Liebe, Schmerz, Einsamkeit und Verzweiflung sprach. Eine Reaktion kam von ihr nicht, wenn man von gelegentlichem Blinzeln absah. Vielleicht bekam sie trotzdem das eine oder andere mit und ließ sich das bis zur nächsten Stunde durch den Kopf gehen. Wenn nicht, wäre die sechste Stunde ihre letzte in seiner Praxis.
    Paul Großmann hatte die fünfzig Minuten wie üblich im Wartezimmer verbracht, wo inzwischen schon der nächste Patient Platz genommen hatte – Sieger mit Nachnamen, was in dem Fall der reinste Hohn war.
    Sieger saß mit tief gesenktem Kopf vorgebeugt auf dem Stuhl, der am weitesten von Paul entfernt stand, und ließ zwischen den gespreizten Beinen ein Jo-Jo auf und ab schwingen, von dem wohl nur Edmund wusste, dass es eine Rettungsleine war. Sieger war achtundzwanzig und hielt es nicht lange aus, alleine mit einem wesentlich älteren Mann in einem Raum zu sein. Und dann noch einer von Pauls Statur, da bekam ein Missbrauchsopfer leicht Schweißausbrüche und Atemnot und hielt sich mit seiner Rettungsleine nur mühsam über Wasser.
    Paul sprang förmlich vom Stuhl hoch, als Edmund Patrizia hereinführte, weil sie nicht mal die wenigen Schritte aus eigenem Antrieb zurückgelegt hätte. «Und, Herr Doktor?», erkundigte Paul sich mit hörbarer Erwartung in der Stimme.
    Angesichts des hypernervösen Siegers und des Schweißfilms auf dessen Stirn zuckte Edmund nur bedauernd mit den Achseln, um zu verdeutlichen, dass es keine Fortschritte gegeben hatte, von einem Durchbruch ganz zu schweigen.
    «Das verstehe ich nicht», begehrte Paul auf. Ihn kümmerte der junge Mann mit dem Jo-Jo nicht. «In der zweiten Stunde hat sie doch etwas gesagt. Und seitdem nichts mehr? Oder betrachten Sie es als Arztgeheimnis? Ich bin ihr Vater, ich habe ein Recht …»
    «Gehen Sie doch schon mal durch, Herr Sieger», schnitt Edmund ihm, an den jungen Mann gewandt, das Wort ab. «Frau Grandes bringt Ihnen einen Kaffee oder ein Wasser, wenn Ihnen das lieber ist. Sagen Sie ihr nur, was Sie möchten.»
    Sieger nickte ruckartig, rührte sich aber nicht vom Fleck, weil Edmund und Paul die Tür blockierten. Edmund zog Paul zur Seite und rief seine Angestellte, damit die den jungen Mann ins Sprechzimmer führte und mit einem Getränk seiner Wahl versorgte.
    «Stellen Sie meinen Kaffee auch dorthin, Sybille», verlangte Edmund, weil er davon ausging, dass Paul ihm nicht die Zeit für eine kurze Pause am Schreibtisch lassen würde. So war es auch.
    Während Sybille Grandes im Vorraum Patrizia im Auge behielt, setzte Edmund sich hinter geschlossener Tür im Wartezimmer mit Paul auseinander und bemühte sich noch einmal, ihn von der Aussichtslosigkeit dieses Versuchs zu überzeugen.
    Sechs Stunden oder sechzig, es spielte keine Rolle, wie viel Zeit man investierte, solange man den Punkt nicht fand, an dem man ansetzen konnte. Patrizias körperliche Verfassung verbot weiteres Herumexperimentieren.
    «Ich glaube nicht, dass die nächste Stunde uns weiterbringen wird», gestand Edmund. «Ich kann Ihrer Tochter nicht helfen, Herr Großmann. Ich

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