Hörig (German Edition)
Kein Luxus, nur Natur. Das kleine Blockhaus. Abends ein Feuer im Kamin und Eddis Zärtlichkeit. Unvergessliche Nächte.
Doch dann schüttelte sie abwehrend den Kopf. «Heiko, ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich habe seit Jahren nicht mehr richtig gearbeitet. Ich habe keine Erfahrung. Ich habe doch damals …»
Sie brach ab,
meine Ausbildung nicht beendet
, hatte sie sagen wollen. Dabei hatte sie ihm vor gut einer Stunde noch erzählt, dass sie bei einem Goldschmied in Düsseldorf untergekommen war. Und nur der Himmel wusste, was Albert Retling ihm alles erzählt hatte. Vielleicht von dem Nachmittag, an dem Ed mit ihr hier gewesen war, damit sie sich entschuldigen und um Verzeihung bitten konnte. Oder von all ihren Stunden als rechte Hand. Bloß nicht lügen, sich nicht in Widersprüche verwickeln. Heiko hatte bereits die Stirn gerunzelt, als sie zu stottern begann.
«… einen anderen Ausbildungsplatz annehmen müssen», vollendete sie. «Mein neuer Chef war nicht halb so gut wie Albert Retling. Er konnte nur so popelige Sachen. Einen alten Ehering mit einem Schmuckstein versehen und so.»
Er lächelte bereits wieder.
«Da mach dir mal keine Sorgen, Püppi. Mit ein bisschen Übung packst du das. Wir haben Zeit. Wenn’s nicht auf Anhieb klappt, macht das gar nichts. Du kannst dich in Ruhe einarbeiten. Machst halt erst mal ’nen einfachen Ring oder ’nen Armreif. Du schaffst das, bei deiner Phantasie. Pass auf, nachher sehen die Sachen besser aus als jetzt.»
Er ging zum Panzerschrank. Sie konnte nicht sehen, was er tat, sah nur seinen Rücken und wie er die schwere Tür aufzog. Als er sich wieder umdrehte, hielt er einen der kleinen Behälter in der Hand, in denen die Scheideanstalt das Material auslieferte. Er schloss den Tresor wieder, steckte den Schlüssel in seine Hosentasche und ging zum Arbeitstisch. Dort stellte er den Behälter ab, öffnete ihn und ließ sie einen Blick auf die Goldkörner werfen.
«Damit kannst du anfangen», sagte er. «Da machst du nichts kaputt. Übst halt erst mal ein bisschen. Was danebengeht, schmelzen wir einfach wieder ein.»
Bei den letzten Worten kam er auf sie zu. Sie rechnete damit, dass er sie noch einmal in die Arme nehmen würde, vielleicht um ihr Mut zu machen. Vielleicht auch um ein paar Andeutungen zu flüstern. Das heiser erregte Flüstern von damals.
«Und heut Abend, Püppi, dann komm ich, und dann tun wir’s richtig …»
Sie spürte, wie ihre Schultern sich anspannten und ihr Nacken erneut steif wurde in der Erwartung, er würde sie küssen. Aber er ging an ihr vorbei zur Tür.
«Ich geh besser mal rauf», sagte er. «Damit Peter nicht auf dumme Gedanken kommt. Wenn du was brauchst, rufst du einfach.» Mit dem letzten Wort schloss er die Tür hinter sich. Sie hörte, dass er den Schlüssel einsteckte und umdrehte.
Ein paar Sekunden lang stand sie wie erstarrt da und konnte nicht einmal atmen. Sie dachte an Ed, hörte ihn im Geist noch einmal sagen: «Er hatte so viel Interesse an deiner Person wie an einem Wetterbericht vom vergangenen Oktober.»
Ed hatte es also völlig richtig beurteilt. Heiko hatte nicht einmal versucht, sie zu küssen. Und das wäre das Mindeste gewesen nach sieben Jahren, meinte sie. Ein sanfter Kuss, nur mit den Lippen, so wie damals. Kein Versprechen für die Nacht, keine Vorbereitung auf das unvergleichliche erste Mal.
Wir holen das alles nach, Püppi
. Nur leeres Gerede. So leer vielleicht doch nicht, immerhin diente es dem Zweck, ihr etwas vorzugaukeln und sie gefügig zu machen. Es war alles so wie damals, alles genauso, wie Ed es ihr wieder und wieder erklärt hatte. Heikos Werkzeug, mehr war sie nie gewesen, damals nicht. Und heute erst recht nicht.
Ihr Herz flatterte wieder für einige Sekunden, dann pochte es schwer und dumpf. Etwas in ihrem Innern wurde hart und kalt, als hätte die Angst ihre Rippen mit einer Eiskruste überzogen.
«Heiko!», rief sie, war mit zwei großen Schritten bei der Tür und schlug mit der flachen Hand dagegen. «Mach wieder auf! Warum schließt du mich ein? Was soll ich denn machen, wenn ich mal aufs Klo muss?»
Sie bekam keine Antwort, hörte auch keine Schritte und erinnerte sich an seine Mahnung, nicht zu brüllen, damit die Retlings sie nicht hörten. Wenn sie weiter gegen die Tür schlug und schrie, sprach sie damit vielleicht das Todesurteil über die beiden. Sie ging zurück zum Arbeitstisch, steckte die Hand in den offenen Behälter und ließ die Körner zwischen den Fingern
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