Hörig (German Edition)
sie aufspüren. Gehen wir rauf und werfen einen Blick in die Schränke.»
Nachdem sie den Anstoß gegeben hatte, konnte Edmund nicht schnell genug ins Schlafzimmer kommen. Dorothea ging ins Bad und schaute sich dort um, während er Patrizias Kleiderschrank inspizierte. Weil die Sommersachen vorne hingen, schien es auf den ersten Blick nicht so, dass etwas fehlte. Er musste weiter hinten nachschauen und sein Gedächtnis anstrengen, ehe er doch ein paar Teile vermisste.
Zwei Jeanshosen, insgesamt besaß Patrizia fünf Stück. Eine hatte sie morgens getragen, als er sich von ihr verabschiedet hatte. Die beiden fehlenden waren mit wattiertem Stoff gefüttert. Außerdem fehlten zwei Fleece-Pullover, Edmund sah sie genau vor sich. Der eine war dunkelblau und hatte einen mehrfach gewickelten Kragen, den sie als Kapuze überziehen konnte. Der andere war hellgelb, hatte ebenfalls einen voluminösen Kragen und einen Reißverschluss auf der Brust, den sie bis unters Kinn ziehen konnte.
Winterkleidung! Keines von diesen Stücken konnte in der Wäsche oder in der Reinigung sein. Patrizia hatte die Sachen zuletzt im Februar getragen, im Urlaub. Wintersport!
Kanada, dachte er und begann zu frösteln. Aber ihre Daunenjacke hing da. Auch die gefütterten Stiefel standen im Schrank. Edmund zählte ihre Schuhe durch, sie besaß nicht so viele, dass er den Überblick verloren hätte. Zwei Paar fehlten. Die leichten Mokassins, in die sie am Morgen geschlüpft war, die dürfte sie anbehalten haben. Und die nachtblauen Pumps mit den extrem hohen Absätzen.
Dorothea war längst aus dem Bad zurück, stand bei der Tür, beobachtete seinen wechselnden Gesichtsausdruck und hörte sich an, was er vermisste. Ein Paar nachtblaue High Heels!
Patrizia hatte sie im letzten Dezember gekauft und nur einmal getragen: zu Silvester. Sie hatte nicht tanzen mögen, obwohl sie so gerne tanzte. Darauf angesprochen, hatte sie verstohlen unter den Tisch auf die Hingucker gezeigt und gesagt: «Sie sehen toll aus, aber sie zwicken fürchterlich.»
Spät in der Nacht hatte sie ihm eine wunde Ferse hingehalten, damit er die bereits offene Blase verarztete. Dabei hatte sie wieder die Schuhe angeschaut, einen langen Seufzer ausgestoßen und bedauert: «Schade. Wenn ich mir sonst welche bestelle, passen die immer. Aber das war eindeutig eine Fehlinvestition.»
Edmund ging noch zu der Kommode hinüber, in der sie ihre Wäsche aufbewahrte. Dabei lächelte er bereits. Eine Fehlinvestition! Deutlicher hätte Patrizia es auch in einem ausführlichen Brief nicht erklären können. Ein Paar nachtblaue High Heels, zwei warme Jeanshosen und zwei Winterpullover. Zwei von jedem Teil! Über die Bedeutung der Zahl dachte Edmund vorerst nicht nach.
Aus ihrer Kommode fehlten zwei Garnituren von der Unterwäsche, über die sie im Februar in Tirol beide gelacht hatten. Unterhemden aus Angora mit halblangem Arm. Die Hosen, die dazugehörten, reichten bis an die Knie. Patrizia war morgens und abends ins Bad geflüchtet, um die Sachen an- und wieder auszuziehen. «Gib mir wenigstens die Chance, diese Liebestöter loszuwerden. Wenn du mich darin siehst, raubt dir das jede Illusion. Und du weißt doch, es funktioniert nur mit Illusionen.»
Liebestöter!
Alles zusammen hatte sie in den kleinen Koffer gepackt, den ausschließlich er benutzte. Und zwar nur wenn er zu einer Tagung fuhr. Der Koffer war sozusagen der Schlusspunkt. Ebenso gut hätte Patrizia in dicken Buchstaben an die Wand pinseln können: «Ich verlasse mich auf dich und deinen Scharfsinn, Ed.»
Als sie das Schlafzimmer verließen, fühlte er sich etwas besser. Nur hielt das nicht lange vor. Schon auf der Treppe wurde ihm klar, dass es auch ganz anders sein konnte. Wenn man den Koffer an den Anfang stellte, klang Patrizias Botschaft eher nach einer Abrechnung mit ihm.
Du bildest dir ein, immer zu wissen, was in einem Menschen vorgeht, Ed. Du bildest dich weiter, tauschst dich mit Kollegen aus. Und du glaubst, du hättest aus mir die Frau gemacht, die dir vorschwebte. Mit dieser Spur von Naivität, diesem letzten Hauch von Kindlichkeit, anschmiegsam und natürlich, leidenschaftlich und voller Bewunderung für ihren Herrn und Meister. Hast du gedacht, ich würde dich nicht durchschauen? Hast du vergessen, dass ich vor dir schon einen anderen Herrn und Meister hatte?
Und zuerst packte sie die High Heels ein.
Du warst eine Fehlinvestition, Ed
. Dann die dicken Jeans und Pullover.
Ich habe neben dir gefroren
. Und die
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