Hörig (German Edition)
Schritte des Dicken auf der Treppe und das zweimalige Knarren der Zwischendecke verklungen waren, hörte Patrizia von oben keinen Laut mehr, doch das musste nichts bedeuten. Die Zimmertüren im Erdgeschoss ließen sich alle geräuschlos öffnen und schließen. Mit den Türen im ersten Stock verhielt es sich wahrscheinlich ebenso. Genau wusste sie es nicht, war noch nie im ersten Stock gewesen, kannte nur die Lage der einzelnen Räume, hätte aber nicht sagen können, ob die Fußböden in den Zimmern ebenso knarrten wie der im Flur. Und wenn, musste man in der Küche trotzdem nicht unbedingt hören, dass jemand im Schlafzimmer umherging, weil dieser Raum über dem Wohnzimmer lag.
Sie führte mechanisch einen Löffel nach dem anderen zum Mund, zerkaute die Wurstscheiben, schluckte, horchte. Aber auch ein Schlüssel, der im Schloss gedreht wurde, verursachte kein Geräusch, das man noch eine Etage tiefer hörte.
«Ist die Suppe gut?», fragte Heiko.
Sie nickte und hörte erleichtert, dass der Dicke oben redete. Seine Stimme war gedämpft von dem Tuch und hatte einen amüsierten Unterton: «Jetzt aber hurtig in die Senkrechte, die Herrschaften. Es gibt Abendessen. Und diesmal wird gegessen. Der Chef hat’s angeordnet.»
Dann wieder Stille.
«Schmeckt’s dir wirklich?», fragte Heiko. Noch bevor sie erneut nicken oder ihm sonst wie antworten konnte, entschuldigte er sich, weil ihr Wunsch nach Eiern nicht erfüllt worden war.
«Ich hab mir überlegt, ob ich Peter morgen in die Stadt schicke, damit er was einkauft», sagte er. «Aber ich weiß nicht, ob das gut ist. Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir nicht unnötig in der Gegend herumlaufen und uns mit dem begnügen, was im Haus ist. Sind ja ausreichend Sachen im Vorratskeller. Verhungern werden wir nicht. Was meinst du?»
«Ich kann notfalls eine ganze Woche von Konserven leben», erwiderte sie und lächelte dabei. «Das mit den Eiern war doch nur so ein nostalgischer Einfall.»
«Aber kein schlechter, Püppi. ‹Eier sollte man immer im Haus haben›, hat meine Mutter früher oft gesagt. Und so ’n schönes weichgekochtes Frühstücksei ist nicht zu verachten. Ich glaub, ich schick Peter doch los, was soll’s. Ist ja ’ne ruhige Gegend hier. Das kriegt keiner mit. Er muss halt ein bisschen aufpassen.»
Dann wurde er verlegen. «Du hast doch Geld eingesteckt? Ich bin im Moment etwas klamm.»
«Es ist in meiner Handtasche. Nimm es dir ruhig.» Sie überlegte noch einmal, ob sie ihn nach dem Koffer fragen sollte, aber inzwischen war ihre Angst, dass er die Pistole fand, zu groß. Im Stillen verfluchte sie sich dafür, die Waffe eingesteckt zu haben. Hätte sie die an Ort und Stelle gelassen, wäre Ed bestimmt längst hier gewesen und hätte mit der Pistole einen großen Vorteil in der Hand gehabt.
Heiko hatte keine Waffe, zumindest trug er keine am Körper, da war sie sicher. Ebenso sicher war sie, dass er eine Pistole am Leib getragen hätte, damit der Dicke nicht damit herumspielte. Und wenn Heiko keine hatte, hatte der Dicke erst recht keine, meinte sie, schließlich war Heiko der Boss.
Ihr Teller war leer, seiner auch. Er stellte beide ineinander und erhob sich. Als sie es ihm gleichtun wollte, meinte er: «Bleib doch noch ’n Moment sitzen. Wir haben ’ne lange Nacht vor uns.»
Für ihr Empfinden sprach er lauter, als notwendig und ratsam gewesen wäre, wo sein Kumpel doch gerade oben war und die Küchentür offen stand. Nachdem er die beiden Teller in die Spüle gestellt hatte, kam er zurück und setzte sich wieder. Im selben Moment wurde oben eine Stimme laut.
«Kann ich ins Bad?»
Wieder Alwine Retling, ganz ohne Zweifel.
Der Dicke antwortete: «Klar, aber nicht den Finger in den Hals stecken.» Dann fragte er: «Was ist mit Ihnen? Auch mal aufs Klo?»
Das galt offenbar Albert Retling. Der antwortete nicht, schüttelte wahrscheinlich nur den Kopf, weil er zu stolz war, ein überflüssiges Wort an so einen schmierigen Kerl zu verschwenden.
«Nicht?», fragte der Dicke. «Überlegen Sie sich das lieber noch mal, solange ich in Reichweite bin. Wenn Sie später den Boss dafür scheuchen, wird’s ungemütlich.»
Darauf gab Albert Retling dann doch eine Antwort, sie hörte ihn, verstand jedoch nicht, was er sagte, weil er nicht laut genug sprach.
Ganz weich vor Erleichterung, beinahe zärtlich, lächelte sie Heiko an. Er lächelte zurück, griff nach ihrer rechten Hand, zog sie an seine Lippen und begann ihre Fingerspitzen zu küssen, eine
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