Hörig (German Edition)
gedrängt wurde. Daheim war er so zuversichtlich gewesen.
Ich weiß schon, wie ich sie zum Reden bringe
. Eine Mutter, da schien das leicht. Wenn man einer Mutter erklärte, ihr Kind sei in Gefahr, spielte das Alter des Kindes kaum eine Rolle. Aber diese spezielle Gefahr zu erläutern, schaffte Edmund einfach nicht.
Patrizia wird ihn erschießen. Vielleicht hat sie es schon getan. Vielleicht ist sie jetzt auf dem Heimweg. Und dann sollten wir hier nicht länger herumstehen und mit einer Frau verhandeln, die zu Verhandlungen nicht bereit ist, der Polizei später aber mit Sicherheit sagen wird, dass wir bei ihr waren, weil wir uns Sorgen um ihren Sohn gemacht haben.
«Warum lassen Sie den Jungen nicht in Ruhe?», wollte Frau Schramm wissen. Ihr Blick ging zwischen Dorothea und Edmund hin und her. «Er hat gebüßt für das, was er getan hat. Denken Sie doch mal daran, für wen er es getan hat. Er hat in all den Jahren an nichts anderes denken können. Wie oft er mir von ihr erzählt hat …»
Sie brach ab, schüttelte erneut den nun wohl von Erinnerungen schweren Kopf und sprach dann langsam weiter: «Jedes Mal, wenn ich ihn besuchte, erzählte er mir von ihr. Er hatte gar nichts anderes im Kopf, nur seine Püppi. Fragte sich immer, wie es ihr geht. Mehr als einmal habe ich ihm geraten, er soll sie vergessen. So ein junges Ding, habe ich zu ihm gesagt, die denkt längst nicht mehr an dich. Sonst würde sie sich doch einmal bei dir melden. Er wurde jedes Mal wütend, hat mich sogar beschimpft, ich hätte keine Ahnung. Er hätte dafür gesorgt, dass sie ihn nie vergessen könnte. Und er könnte sie nicht vergessen. ‹Ich brauche sie›, sagte er immer. Und dann wollte er, dass ich mich umhöre, wo sie jetzt ist und was sie macht.»
«Dann hat er Patrizias Adresse von Ihnen erfahren?», stellte Dorothea fest.
«Nein», erklärte Frau Schramm. «Damals hat er zwar verlangt, dass ich ein Auge auf sie haben soll. ‹Pass ein bisschen auf, Mama›, sagte er, ‹Püppi braucht jetzt einen Menschen, der zu ihr hält. Ihr Alter macht sie sonst fix und fertig.› Da bin ich oft an dieser Bushaltestelle gewesen. Heiko hatte mir gesagt, wo sie abends immer einsteigt, aber sie kam nicht. Ein paar Monate lang bin ich wenigstens einmal in der Woche hin, immer umsonst. Zuerst hab ich mich gar nicht getraut, ihm das zu sagen, hab ihm was vorgeschwindelt. Irgendwann ist er von alleine draufgekommen, dass ich sie überhaupt nicht zu Gesicht bekomme. Dann habe ich mal angerufen bei den Leuten, wo sie gearbeitet hat.»
Edmund hörte nicht mehr richtig hin. Es interessierte ihn nicht, was diese Frau alles unternommen hatte, um Verbindung zu Patrizia aufzunehmen. Gelungen war ihr das nicht, und nur das zählte. Ihm zuckte noch einmal der Satz durchs Hirn, den Schramms Mutter da eben ausgesprochen hatte.
Er hätte dafür gesorgt, dass sie ihn nie vergessen könnte.
Da hatte Schramm sich wohl ein wenig überschätzt, hatte nicht damit gerechnet, dass nach ihm noch einer kam, der ebenfalls wusste, wie man ein verträumtes und leichtgläubiges junges Mädchen behandeln musste. Der sein Handwerk beherrschte und es deshalb vielleicht noch etwas besser wusste als so ein Rasputin.
Einfach war es nicht gewesen, auch keine Sache von wenigen Wochen. Es hatte Monate gedauert. Der Aufbau der neuen Frau. Jede Stunde mit ihr gliederte Edmund in zwei Teile.
In der ersten Viertelstunde erklärte er ihr Schramms Charakter, vielmehr das, was er sich darunter vorstellte. Durch und durch verdorben, so schlecht, dass die dunkelste Phantasie eines normalen Menschen nicht abschätzen konnte, was tatsächlich in diesem Mann vorging. Was einen Teufel bewegte, konnte nur jemand ahnen, der sich in allen Bereichen der menschlichen Natur auskannte. Ein geschulter Psychologe, ein Fachmann eben, wie er einer war.
Danach kam er zu ihr, analysierte ihr Verhalten, fasste es in einem Satz zusammen. Ein verliebtes Gänschen, blind und taub für die Realität und bereit, die Menschen zu verraten, die es im Grunde seines Herzens liebte und verehrte.
Was sie anging, bemühte Edmund sich, nicht allzu drastisch zu werden. Es ging ihm vorerst nur darum, ihre Schuldgefühle auf Schramm umzulenken. Um das zu erreichen, unterzog er sie einer regelrechten Gehirnwäsche, las ihr das ärztliche Gutachten vor und immer wieder Albert Retlings Aussage.
Achtmal insgesamt unterzog er sie dieser Folter. Und für sie musste es eine Folter sein. Jedes Mal rechnete er damit, dass sie
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