Hörig (German Edition)
steckte den Schlüssel ein …
Wie denn? Er hatte doch in jeder Hand einen Teller Suppe! Dann schalt sie sich selbst: Kein Grund zur Aufregung! Einen Teller konnte er doch abstellen, besser noch beide, um nichts zu verschütten, wenn er den Schlüssel aus seiner Hosentasche zog.
Aber Heiko hatte ihm keinen Schlüssel gegeben.
Ich bin hier der Boss!
Und der Boss verwahrte die Schlüssel. Den zur Werkstatt trug er doch auch bei sich. Andererseits hatte er gesagt: «Peter passt schon auf …» Vielleicht hatten sie sich die Aufgaben geteilt. Er behielt sie im Auge, und der Dicke war für Albert und Alwine Retling zuständig. Sie schwankte zwischen Zuversicht und neuen Anflügen von Panik.
Für Dorothea war die Sache einfach. Heiko Schramm war kein Unschuldslamm, aber auch nicht das Monster, das Edmund aus ihm gemacht hatte. Und Patty, wie Dorothea ihre jüngere Schwester seit jeher nannte …
«Sie hat deine Ansichten übernommen, Eddi. Sie hatte doch gar keine andere Wahl. Schramm war nicht mehr da, um dich zu widerlegen. Und du warst ein Mann nach Papas Geschmack. Es stand nicht zu befürchten, dass Papa ihr auch den Umgang mit dir verbieten würde. Sie hat sich in dich verliebt. Und das ist das Einzige, was ich gelten lasse: dass sie dich liebt, Eddi. Du hattest sieben Jahre Zeit, um ihr beizubringen, was gut für sie ist. Schramm hatte nur wenige Monate. Dass Patty jedem Problem nach Möglichkeit aus dem Weg geht, darf man auch nicht übersehen. Wenn sie heute Morgen mit ihm gegangen ist, freiwillig, meine ich, und den Anschein hat es ja, dann …»
Diesmal war Edmund es, der sie unterbrach und den Satz zu Ende sprach: «Muss es besondere Gründe geben.»
Ihm ging da etwas durch den Kopf, sehr angenehm war es nicht. Aber es war auch nicht von der Hand zu weisen. Die fehlende Kleidung beziehungsweise alles, was noch im Schrank hing, sprach tatsächlich dafür, dass Schramm ihr vertraut hatte. Er hatte sie zumindest in Ruhe packen lassen. Und sie sah in Schramm einen Teufel, ein Monster, eine Bestie.
Ungeziefer!
Edmund sah sie wieder auf die Tür in seinem Sprechzimmer zugehen an dem Nachmittag damals in der Praxis, nachdem sie das Zeitungsfoto der innigen Umarmung im Gerichtssaal zerrissen hatte und ganz bewusst auf die Schnipsel trat.
Ungeziefer muss man zertreten, nicht wahr?
Zwei Sekunden lang saß Edmund noch reglos, dann sprang er aus dem Sessel auf. Dorothea schrak nicht einmal zusammen, als er in die Diele stürmte und die Treppe hinaufhetzte. Sie folgte ihm etwas langsamer und erreichte die Tür zum Schlafzimmer, als er gerade das untere Schubfach der kleinen Kommode neben seinem Bett aufzog. Sie sah, dass er hektisch in dem Fach herumtastete, nervös wurde, ein paar Dinge beiseiteschob, sich schließlich hinunterbeugte.
Als er sich aufrichtete, war er merklich blasser. «Sie hat meine Pistole mitgenommen.»
«Na klasse», fluchte Dorothea, fasste sich jedoch rasch wieder. «Ist das Ding geladen?»
«Natürlich», sagte er.
«Das wird Patty nicht tun», meinte sie. «Das kann sie gar nicht. Wenn sie es könnte, hätte sie ihn gleich hier über den Haufen geschossen. Sie hätte doch behaupten können, sie sei angegriffen worden. Warum hätte sie ihn dann begleiten sollen?»
Weil sie ihn draußen leichter loswerden kann, dachte Edmund, hütete sich jedoch, das laut werden zu lassen. So loswerden, dass kein Verdacht auf sie fällt. Hier im Haus hätte es Probleme gegeben. Sie hätte alles so herrichten müssen, dass es nach Notwehr aussah, sich vielleicht selbst verletzen oder das Bett zerwühlen. Und sie hätte nicht sicher sein können, dass man ihre Version glaubte. Aber draußen …
Wenn Schramms Leiche mit einem Loch im Kopf in irgendeinem Waldstück gefunden wurde, würde die Polizei erst einmal davon ausgehen, dass er von seinem damaligen Komplizen erledigt worden war, weil er seinen Anteil an der Beute verlangt hatte.
Dass die Ermittlungen zu ihm führten, wenn die Polizei das Projektil sicherstellte, konnte Edmund nicht völlig ausschließen, glaubte es aber nicht so recht. Und Patrizia würde darüber gar nicht nachdenken.
Hatte sie es sich so vorgestellt? Schramm erschießen, zurückkommen und davon ausgehen, dass kein Mensch von seinem Besuch bei ihr wusste.
Dorothea schaute ihn fragend an, erkannte wohl, dass hinter seiner Stirn etwas Bedeutsames vorging, und wartete auf eine Erklärung. Aber das konnte er ihr nicht erklären, das nicht.
«Wir fahren zu seiner Mutter»,
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