Hörig (German Edition)
sie fast taub.
Edmund schaute noch einmal an der schmutzigen Hausfassade hoch, ehe er in den Wagen stieg. Dorothea saß bereits auf dem Beifahrersitz, legte den Sicherheitsgurt an und schimpfte los.
«Du weißt schon, wie du sie zum Reden bringst! Dass ich nicht lache! Machst du das bei deinen Patienten auch so? Stehst einfach nur da und bringst die Zähne nicht auseinander. Was hatte dir denn plötzlich die Sprache verschlagen?»
«Vielleicht weiß Frau Schramm wirklich nicht, was er vorhatte», rechtfertigte Edmund sein klägliches Versagen.
«Vielleicht», brummte Dorothea. «Und was machen wir jetzt? Hast du noch so eine brillante Idee? Oder willst du lieber heim und erst mal eine Nacht darüber schlafen? Vielleicht haben sich die Dinge morgen früh ja ganz von alleine geregelt, weil Patty nur feststellen wollte, ob Schramm tatsächlich so gut im Bett ist, wie sie früher geglaubt hat. Je nachdem, wie der Test ausfällt, kastriert sie ihn womöglich und kommt reumütig zurück.»
«Hör auf!», fuhr Edmund sie an.
Dorothea schwieg tatsächlich für ein paar Sekunden, während er den Motor startete und den Wagen auf die Straße lenkte. Dann begann sie von neuem: «Eines sag ich dir, mein Lieber: Wenn Patty eine Dummheit macht, werde ich keine Sekunde zögern und aller Welt erklären, dass du sie dazu veranlasst hast mit deiner Hetzkampagne.»
Ihre Stimme klang, als sei sie den Tränen nahe. Edmund verlangte noch einmal: «Hör auf! Denk lieber nach. Du hast ihn doch damals gekannt. Wie gut, will ich gar nicht wissen. Was weißt du sonst noch, außer dass er bei seiner Mutter wohnte? Irgendwelche Bekannten? Was ist mit dieser Gerda?»
«Sie arbeitete in der Disco, in der Patty ihn kennengelernt hat, und fuhr regelmäßig mit ihm nach Amsterdam», erklärte Dorothea. «Ihren Familiennamen weiß ich nicht.»
«Die arme Frau mit den kleinen Kindern», schlussfolgerte Edmund.
«Genau die», bestätigte Dorothea. «Ein Junge und ein Mädchen, vier und fünf Jahre alt, glaube ich. Sie wuchsen bei Gerdas Eltern auf. Gerda war geschieden und hatte mehr Schulden als Haare auf dem Kopf. Sie hatte für einen Kredit gebürgt, mit dem ihr Mann einen Blumenladen eröffnet hatte. Der Laden ging schnell pleite, ihr Mann setzte sich ab. Die Bank hielt sich an sie.»
Dorothea kramte die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug aus ihrer Tasche, fischte eine Zigarette aus der Packung und schob sie sich zwischen die Lippen.
«Kannst du das in meinem Auto bitte lassen», verlangte Edmund. «Im Haus wollte ich nichts sagen, aber …‹
«Nein», unterbrach Dorothea ihn knapp, zündete die Zigarette an, ließ die Seitenscheibe herunter und sprach weiter über Gerda, die sich immer so gefreut hatte, wenn Schramm eine Tour ins Nachbarland ankündigte und fragte: «Lust auf einen Ausflug mit Kind und Kegel, Gerda?»
Die Kinder kamen ja sonst nicht raus. Gerdas Eltern waren auch nicht auf Rosen gebettet. Gerda selbst konnte den Kleinen gar nichts bieten und stellte Schramms Angebote immer als Samaritertum dar. Dass er dabei Geschäfte machte, die alles andere als akzeptabel waren, hatte Dorothea erst nach seiner Verhaftung von Patrizia erfahren.
«Aber du kannst doch nicht im Ernst angenommen haben, dass er die Frau und ihre Kinder nach Holland fährt, weil er ein gutes Herz hat», meinte Edmund.
«Ich dachte, sie hätten was miteinander», sagte Dorothea. «Gerda war ziemlich hübsch.»
Das elektrisierte Edmund förmlich. Die Vertrauensperson, über die er am frühen Abend bei Paul nachgedacht hatte. «Jede Wette, dass Schramm und Gerda ein Verhältnis hatten», sagte er. «Deshalb hat er Patrizia nicht angerührt. Sie war für beide nur der Schlüssel zum großen Reichtum.»
Dorothea äußerte sich nicht dazu, nahm noch einen Zug und drückte ihre Zigarette im blitzblanken Aschenbecher aus. Die Adresse der Disco nannte sie erst, als Edmund zum zweiten Mal danach fragte. «Und du glaubst, dass du als Privatmann nach fast acht Jahren noch viel über eine Frau in Erfahrung bringen kannst, die damals dort gearbeitet hat?», wollte sie wissen.
Beinahe hätte Edmund geantwortet:
«Was ich glaube, spielt keine Rolle.»
Das verkniff er sich, es wäre zu viel Wasser auf Dorotheas Mühlen gewesen. Stattdessen sagte er: «Es ist eine Möglichkeit, ein Anhaltspunkt, ein winziger Hoffnungsschimmer und leider Gottes unser einziger.»
Als Edmund den Wagen nach knapp einer halben Stunde Fahrt abstellte und neben seiner Schwägerin auf
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